Kappel, 22. Oktober 2005
Die Kappeler Milchsuppe in 20 Minuten.
Sehr verehrte Damen, meine Herren,
ich weiss nicht, ob sich die Kappeler Milchsuppe in 20 Minuten wirklich ausleuchten lässt. Die Sache ist nämlich alles andere als ein einfaches Einbrocken von Zürcher Brot in Innerschweizer Milch und danach herrschte Friede.
Wir sprechen von einer historischen Mahlzeit. Es tut deshalb vielleicht gut, sich zu Beginn an Heinrich Hoffmann von Fallerslebens Lied aus dem Jahr 1840 zu erinnern:
1. Die Weltgeschichte ist das Weltgericht,
Doch kein Gericht für jeden Magen,
Denn solche herbe Speise würde nicht
Ein jeder Herr und Knecht vertragen.
2. Drum hat man viele Männer angestellt,
Die müssen’s klopfen, kochen, braten,
Daß dies Gericht der ganzen Welt gefällt,
Zumal den hohen Potentaten.
3. Zu haben ist es dann an jedem Ort,
Für Geld bekommt es leicht ein jeder;
Mit einer Brühe gibt man’s gratis fort
Sogar auch wohl noch vom Katheder.
4. Es ist bereitet dann so exzellent,
Daß man die Finger danach lecket;
Gesättigt rufen wir: Potz Element!
Wie gut doch die Geschichte schmecket
Nun, was wissen wir denn eigentlich? Die Zürcher Reformation verlangte von den Innerschweizern etwas, was sie aus ökonomischen Gründen damals nicht leisten konnten, die Aufgabe der Fremden Dienste und ferner etwas, was sie aus religiösen und politischen Gründen nicht leisten wollten, die freie Predigt des Evangeliums. Die evangelische Lehre hatte mit Riesenschritten Fortschritte gemacht: 1528 und 1529 in rascher Folge Bern, St. Gallen, Konstanz, Basel und Schaffhausen. Die fünf Orte Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug fühlten sich bedroht. Sie setzten deshalb der ihren politischen Willen in Frage stellenden freien Predigt des Evangeliums am 29. Mai 1529 eine weithin leuchtende Grenze, als sie in Schwyz Jakob Kaiser verbrannten.
Folie 1 (die Folien sind nicht im Blog aufgeschaltet)
Das war eine Provokation, sie wussten es, es kam zum Krieg, zu einem Krieg, dessen bizarre zwei Stossrichtungen der Zürcher und erst noch ohne die Berner klar machen, dass es sich um einen eher ungewöhnlichen Waffengang handelte.
Folie 2
Kappel, 9. Juni 1529. Man steht sich Auge in Auge gegenüber, es geschieht aber nichts, weil eine Reihe von Schiedleuten auftauchen, welche zwischen Eidgenossen vermitteln wollen, der Glarner Landammann Hans Aebli beispielsweise. Die Zürcher hatten ausserdem nur eine begrenzte Unterstützung von Seite der Berner, mussten sich also zurückhalten. Die Innerschweizer waren nicht sicher, zu gewinnen. Es kam also zu einer Art von Waffenstillstand bei kampfbereiten Heeren. Da hinein gehört eine Episode, die Heinrich Bullinger Jahrzehnte später in seiner Reformationsgeschichte wie folgt schilderte:
„Uff ein Zyt namend vil dappfferer Xellen von den 5 Orten, ein grosse Müütten mitt Milch, und stalltens uff die March, in Mitten, schruwend den Zürychern zu, sy habind wol ein gute Milchprochen, aber nüt darin zu brochen. Da luffend redlich Gesellen der Zürychern hinzu, mit Brot, und brochetend yn, und lag yetweder Teyl uff sinem Erterich, und aassend die Milch mitt einanderen. Wenn denn einer über die halb Mutten uss greyff, und aas, schlug inn der ander Teyl (in Schimpff) uff die Händ, und sagt fryss uff dinem Erterych. Und deren Schimpffen giengend ettlich me für, dass do es dem Stattmeister von Strassburg, J. Jacoben Sturmen, der ouch under den Schidlüthen was, fürkamm, sagt er, Ir Eydgenossen sind wunderbar Leuth, wenn ir schon uneins sind, so sind ir eins, und vergässend der allten Fründschafft nitt.“
Bullinger selbst war ja hier in Kappel gewesen, als das Kloster 1526 zur Reformation übertrat, ja selbst bis ins Jahr 1529, wo er nach Bremgarten berufen wurde. Er hatte gewiss gerade für derart anekdotische Begebenheiten die besten möglichen Quellen und ausserdem überliefert er das Zeugnis eines Strassburger Vermittlers, das er ganz bestimmt nicht erfunden hat. Für mich besteht kein vernünftiger Zweifel, dass die Milchsuppe gegessen worden ist 1529. Eine ganz andere Frage aber ist, was diese Episode, mehr war es eindeutig nicht, denn niemand ausser Bullinger hat sie der Überlieferung wert erachtet, nachmals so bedeutend machte.
Nun, nach der Suppe der Krieg:
Zürich war nicht bereit, die Selbständigkeit der fünf Orte in Fragen der Religion und der Fremden Dienste zu tolerieren. Die fünf Orte sahen nicht vor, sich diktieren zu lassen. Zürich versuchte sich mit einer zu allen Zeiten sehr schwierigen Kampfform, einer, die kaum jemals Erfolg gehabt hat, mit einer so genannten Proviantsperre, also einem Lebensmittelboykott. Die Urschweiz hatte damals und hat heute ein Getreidedefizit, sie konnte also nur entweder sich den Zürcher Forderungen unterwerfen oder Krieg führen. Und zum Krieg kam es denn auch.
Hier die Ausgangslage 1531:
Folie 3
Der Zürcher Feldzug ist rasch erklärt,
Folie 4
Man zieht nach Kappel, lässt sich schlagen und zieht wieder nach Haus.
Lokal hat sich das etwa so abgespielt
Folie 5,
wobei die Vorhut der fünf Orte die Schlacht gegen Abend gegen die eigene Führung erzwang.
Wie sieht eine Schlacht damals aus:
Folie 6
Langspiesse, darin Halbarten, flankierend etwas Geschütz. Dem Gegner wird der Druck abgewonnen, viel ist Handarbeit, Schlachtenhandwerk.
Warum haben die Zürcher verloren?
1. Wie immer sind sie sehr selbstbewusst: Wir können es ohne die Berner! Wie sich gezeigt hat, eben nicht!
2. Die Elite, insbesondere die militärische Elite, ist innerlich nicht für die Sache der Reformation zu haben.
3. Die Kaderauswahl war von Zwingli all zu sehr auf die Gottesfurcht und all zu wenig auf das Kriegshandwerk gelenkt worden: „Und sehe man all weg me gotzvorcht, trüw und warheit an weder kriegens kunst.“
4. Die Urschweizer kämpften für ihre politische Existenz.
Nun Zwingli
Folie 7
bezahlte den Preis, sein Helm und sein Schwert waren
Folie 8
jahrhundertelang als Beutestücke in den fünf Orten, wenn auch das Hauptbanner
Folie 9
gerettet wurde. Der Verlust Zwinglis war ohne jeden Zweifel niederschmetternd
Folien 10 und 11.
Aber der Krieg ging weiter. Die Zürcher versuchten’s nun doch noch mit den Bernern
Folie 12
Aber mittlerweile war das militärische Prestige der Urschweizer erstarkt, sie setzten sich auch am Gubel durch
Folien 13 und 14 und erzwangen einen für die Reformierten höchst ungünstigen Frieden.
Resultat: Jahrhundertelange Frustrationen. Genau die Parteien von Kappel haben, mit verschiedenen Verbündeten, 1656 bei Villmergen und 1712 bei Villmergen und 1847 im Sonderbundskrieg wieder bekämpft, drei Jahrhunderte lang wurde dieses Feindschaft nicht überwunden.
Warum ist diese Eidgenossenschaft in diesen Jahrhunderten nicht zerfallen? Nun, die Erklärung prägen wir auf die Randschrift des Fünflibers: DOMINUS PROVIDEBIT.
Darunter aber gab es einen Geist der gebremsten Gewalt, weil selbst im Bürgerkrieg das eidgenössische Empfinden nie ganz erlosch, hier führt eine gerade Linie von der Kappeler Milchsuppe zu Dufours berühmtem Armeebefehl von 1847 und zur gemässigten Bundesverfassung von 1848, welche angesichts gewisser radikaler Tendenzen damals auch ganz anders hätte aussehen können.
Albert Anker war 16 Jahre alt, als der Sonderbundskrieg geschlagen wurde, ihm und seiner Generation, welche die Überwindung der alten Gegensätze im Zeichen der Modernität, der Eisenbahn, der Industrialisierung, vor allem aber des liberalen und demokratischen Rechtsstaates schaffte, dieser Generation bedeutet die Milchsuppe nun etwas ganz Grosses und Wichtiges.
Und so hat sie ihre moderne Ikonographie erhalten
Folie 15
Dass sie 1940 als nationales Symbol auftaucht, versteht sich
Folie 16
Es handelt sich dabei aber noch um mehr als das: Die Entschlossenheit der Eidgenossenschaft, sich gegen totalitäre Zumutungen zur Wehr zu setzen, führte nämlich dazu, dass auch die Zahnlosen Dienst zu leisten hatten. Zahnlosen- oder Edentaten-Kompanien wurden geführt.
Heute erinnert der Milchsuppenstein
Folie 17
an das Ereignis.
Wann und wo wissen wir nicht mehr, dass es die Kappeler Milchsuppe gegeben hat, steht für mich fest.
Was bleibt?
Es bleibt vielleicht die Möglichkeit, die kompromisslose Suche nach der Wahrheit mit jener Toleranz zu verbinden, die dem Gegenüber das Recht einräumt, anders, selbst ganz fundamental und radikal anders zu sein. Und ob wir Eidgenossen nun wunderbare oder, wie der Strassburger Bürgermeister Jakob Sturm wohl eher sagen wollte, wunderliche Leute seien oder nicht, so können wir doch gewiss nicht fehlen, wenn wir auch, wenn wir gerade heute den Versuch unternehmen, auch wenn wir und gerade wenn wir uneins sind, der alten Freundschaft nicht zu vergessen!
Für die Qualität meiner Blitzlicht-Aufnahmen und die grafische Aufbereitung möchte ich mich grundsätzlich entschuldigen. Wer Lust, Zeit und Begabung hat kann vermutlich noch viel aus meinen RAW/(Nef)-Dateien rausholen – nur sollte diese hilfreiche Person keine Kosten verursachen. Melden sie sich bitte bei marti at martischweiz.ch. Danke.