Urteil vom 16. November a.c. (2P.321/2006). Glaubenssfreiheti war einmal eine innerhalb der Kirche, nun eine von der Kirche. Die Presse interpretiert das Bundesgericht mit ‚Austretungswillige Katholiken brauchen künftig ihrem Glauben nicht abzuschwören.’ – Wie steht’s für Reformierte?
«Teilausttritt aus der Kirche laut Bundesgericht möglich» – NZZonline vom 19.11.07
Ein Austritt aus der römisch-katholischen Landeskirche ist nun möglich, ohne den Austritt der römisch-katholischen Glaubensgemeinschaft zu erklären, nachdem das Bundesgericht anders denn in einem Urteil vor fünf Jahren jetzt erklärt, dass ein Kirchenaustritt in Rücksicht auf die Glaubensfreiheit keine Erschwernis erträgt. Es hat entschieden, dass eine Erklärung genügt, aus der Landeskirche austreten zu wollen, ohne damit aus der Kirche an sich austreten zu müssen. Katholiken zählen zur universellen römisch-katholischen Kirche (Weltkirche) und der römisch-katholischen Landeskirche (Kirchgemeinde). Letztere hat eine zudienende Funktion und regelt administrative Belange. Nun können Katholiken aus der Landeskirche austreten, ohne den Austritt aus der Glaubensgemeinschaft zu erklären, was nach katholischem (Welt-)Kirchenrecht sowieso nicht geht. Wer katholisch getauft ist, hat darauf verzichtet, darauf zurückzukommen. Als Katholik/In ist man im Horizont der Kirche irreversibel katholisch.
Martin Heidegger redet von einem Geworfensein in der Welt. Auf die Aufgehobenheit in der Kirche antwortet der Philosoph mit Rückgang auf die existenzialen Strukturen der Erschlossenheit des In-der-Welt-seins: Aufgehobenheit ist ja sowieso zwiespältig. Sie hebt sich, wie alles, was einseitig gesetzt ist, selbst auf, d.h. das Anrufen des Heiligen Geistes an der reformierten Taufe öffnet deshalb ein Tor zum kollektiven Glauben mit dem christlichen Wertesystem und dessen Deuten vom Evangelium her. Die Taufe zeichnet einen christlichen Lebens-Entwurf, für welchen die Gläubigen in einer zugleich mündig und fragwürdigen gewordnen Welt eigenverantwortlich bis dahin werden, diesen Entwurf zu hinterfragen. Eignet diesem eine spezifische Befindlichkeit, ein besonderes Verstehen, Reden und Auslegen? Die Beantwortung dieser Fragen wird um so dringlicher, als das Dasein zunächst und zumeist im Man aufgeht und von ihm gemeistert wird. Ist das Dasein als geworfenes In-der-Welt-sein nicht gerade zunächst in die Öffentlichkeit des anonymen Man geworfen? Und was bedeutet diese Öffentlichkeit anderes als die spezifische Erschlossenheit des Man, an welches sich die individuelle Erschlossenheit des Individuums anzuschliessen hat, das einer süssen Versuchung von Aufgehobenheit in der Kirche widersteht? Hat nicht die Kirche weltweit nicht immer wieder nicht versucht, sich mit Entwürfen zu begnügen, sondern Ideologie, Dogmen durchsetzte obzwar Gott selbst am Kreuze ‚sich beiseite räumte’ (statt
sich durchzusetzen.
Viele Menschen haben die Kirche selbst in ihrem Entwurfe in den letzten Jahren für sich aufgegeben, um sich nicht selber aufzugeben. Religiöses Burnout? Ob der Kirche nicht aufgegeben ist, an sie – anstatt exklusiv an die schon von ihr Überzeugten – zu denken, um ein Dasein ohne Zwang , in Glaubensfreiheit, zu entwerfen, auf die existenzielle Geworfenheit am Rande der Kirche zu antworten, an den sie bis zur nunmehrigen Wende des Bundesgerichts gedrängt wurden? Als religiöser Stil, ‚verlorene Schafe’ zu erinnern, zu fragen, was Kirchenferne wirklich ermöglichte, die Fülle von Ideen, Gedanken, Phantasmen, Spurenziehen als positiv (statt Verlust) zu interpretieren. Einzig dass diese Fülle existiert, und keineswegs der Sinn oder dessen Fehlen darin, interessiert insoweit. Kirchenferne als Existenzfunktion der Moderne hat glaublich (selbst) Zeichenfunktion, und in der Regularität der Einordnung von solchen Zeichen findet sich mutmasslich eine Aussage, wie der kirchliche Diskurs zur Glaubens- & Gewissensfreiheit weiters zu führen ist.
Text: Jean-Claude Cantieni, Chur