Als Reformierte irgendwelcher Provenienz führen wir uns auf die Volkspriesterschaft zurück, wie Martin Luther sie propagierte – und wie sie bis heute arg rudimentär erst verwirklicht wurde. Dan Brown widerspricht nun dem hierarchischen Priester-Regierungsprinzip der katholischen Kirche über Petrus und Petri-Nachfolger durch eine Blutlinie Jesu von Maria
Magdalena an, die ihrerseits bis auf den Trojanischen Krieg bzw. in die griechischen Arkadier zurückgeführt wird. Institution, Blut und Geschichte des Priesterlichen treffen sich so – und das alles an Luthers Volkspriestertum vorbei, wonach die Schlüssel Petri jedem Einzelnen in der Nachfolge Jesu ausgehändigt werden. Lessing schrieb dann im ‚Nathan der Weise ähnlich; Niemand hat Anspruch auf ein Erbe per se, ob Edelstein oder Schlüssel fürs Himmelreich. Oder Goethe: ‚Was du ererbt von deinem (auch himmlischen) Vater: Erwirb es, um es zu besitzen.’ So viel Wohnungen im Reiche Gottes sind, sind auch viele Schlüssel zu verteilen. Browns Roman wird vielfach eine Fiktion gescholten. Solange Fiktionen als solche bewusst bleiben, ist nichts einzuwenden. Sie regen die Diskussion an. Problematisch wird’s, wenn die Perspektivenwahl in Religionsfragen mit der Fiktion problematisch ist. Mit der Religion verhält’s sich wie mit dem Wasser. Beides ist notwendig. Sie gehen uns alle an, weshalb sie mit Luther in die Hand aller zu geben sind. Der Himmel ist vielleicht nicht demokratisch, doch ihn vorbereiten heisst, mit säkularen Mitteln, statt priesterlichen oder solchen der Blutsnachfolge argumentieren, selbst wenn der Gedanke verführerisch ist, dass der Gral, Objekt spiritueller Begierde nach Browns ‚Sakrileg’, eher im Schosse einer Frau, die am Kreuze ausharrte, als beim seiner Affekte beim Abendmahle nicht mächtigen Petrus zu finden ist.Arthur Schopenhauer warb für eine Religion, die ihren Sitz unter allen Gläubigen hat, in Parerga, § 174 (1851);
‚…. Wie es eine Volkspoesie gibt und, in den Sprichwörtern, eine Volksweisheit ; so muss es auch eine Volksmetaphysik geben. Sie ist allemal eine allegorische Einkleidung der Wahrheit, der Fassungskraft des Volkes angemessen, und leistet, in praktischer und gemütlicher Hinsicht, d.h. als Richtschnur für das Handeln und als Beruhigung und Trost im Leiden und im Tode, vielleicht eben so viel, als die Wahrheit, wenn wir sie besäßen, selbst leisten könnte…’
Das Urteil über ein solch religiöses Fassungsvermögen oder doch die Definition dessen,, wie die Entscheidungssituation lautet,, in welcher’s um gute Religion, um unser Auffassen von moralischen Pflichten (bzw. natürlichen Verpflichtungen) als Gebot Gottes (nach Kant) geht, steht den Gläubigen im Ganzen und jedem Einzelnen zu. Die aus der Knechtschaft Ägyptens ins ‚gelobte Land’ zurückgeführten Israeliten haben – so der Mythos – ihren Führer umgebracht, weil sie sich dessen Gebote nicht beugen wollten oder konnten. Die Scham, die aufkommt, wenn einem Vatermord ins Auge zu blicken ist, ist ausbeutbar, weshalb über (auch Religions-) Normen im Gremium aller Gläubigen nach Luther unter menschenrechtlichem Aspekt zu entscheiden sind. Das Recht urteilt damit nicht über Moral, doch es maximiert Gutes unter menschlichen Bedingungen, und es wahrt den (fairen) Vorrang der Freiheit, Glaubensfreiheit.
Ob einer, der liberal-theologisch denkt, sich angespornt fühlt, einen Roman über das Drama zu schreiben, dass der Impuls des Evangeliums, Priesterschaft allen Gläubigen – als einforderbares Menschenrecht – zu übertragen, bisher so dürftig zu verwirklichen war und ist, vielleicht auch gar, um dazu beizutragen, dass wir nicht mehr in so dürftigen Verhältnissen leben, wozu gute Religion ja beiträgt?
Satz und Links: Stephan Marti-Landolt – finanzblog