Religionsunterricht in Chur


In Chur folgen sich periodisch ‘Wissenschaftscafés’ mit einer Expertenrunde einerseits und Rede- und Antwortspiel mit dem Publikum anderseits. Der vergangene Abend galt der Neuregelung des Religionsunterrichts in Chur auf Initiative der ‘Jusos’ hin.

An der Urne wurde entschieden, dass ein Fach ‘Ethik und Religion’ in der Schule unterrichtet wird. Bisher bestanden zwei Unterrichtsstunden in Religion, nun also eine in Religion, durch die Kirche gehalten, und eine Stunde Ethik und Religion als über Religion (nicht in). Gefragt war durch den Moderator worden, was dieses 1 plus 1 nun ergebe, worauf ich antworte;

Sehr geschätzter Herr Kramm,

ob Ihre Frage, was 1 plus 1 betreffs Religion und Ethik neu in der Schule gebe, nicht auch war, was zwei minus eins gibt? Zwei Stunden in Religion waren’s, nun ist’s eine geworden, die ja auch noch fakultativ ist. Zwei Stunden waren verhältnismässig ‘gewichtig’, eine Stunde wirkt deutlich fragiler, wenn die beiden Stunden zwischen Kirche & Staat nicht kooperieren. Ergebnis ist dann, dass das Ganze eine halbe, statt eine relative Sache ist.

Wir bewegen uns auf Freifächer zu. An den Gymnasien wurde Latein und Griechisch fakultativ, d.h. heute in der Praxis abgeschafft.. Wir leben in einer erlebnishungrigen und zugleich Sicherheit erheischenden Zeit. Ein gutes Leben führen wir, wenn es uns passt, was zugleich heissen wird , dass wir positivistisch orientierte juristische Gerechtigkeit(en) in einem Fache wie Ethik zu unterrichten haben, moralische Maximen des ‘guten Lebens’ zu definieren haben, statt in Willigkeiten, selbstverantwortlich zu handeln, zu investieren. – In der Nestorerzählung der Ilias (V 670-762), worin die Gerechtigkeitsfrage von der Moral (Rache, Recht…) erstmals in der Geschichte vernünftigerweise getrennt wurde, wurde eine Differenz, eine Fuge, ein Freiraum, geschaffen, der fast chronisch heute erodiert. Ein Konflikt um Vieherden endete damals nicht nicht mehr im Rechten um gemachte Beute, sondern im Vergüten von vorher erlittnem Schaden, in Fairness statt statt Moral als einem perfektionistische Massstabe des Guten, dahinter Interessen sich verstecken, einst die einer Kirche als einer barocken ‘Ecclesia triumphans’, heute diejenigen des Staates (an so genannt stabilen Verhältnissen als polizeilichem Gute). Der damalige Verzicht aufs Rechten, Übergabe der Beute von Erbeutern an Schiedsleute war ein entscheidender Schritt auf Mdenschlichkeit zu. Homer zeigte in dieser in die Ilias intrapolierten Erzählung den Streithähnen Achill und Agamemnon, dass man eine Beute – in ihrem Falle Briseis nicht lieben kann und deshalb kein Anrecht auf sie als einen geraubten Menschen bzw. Menschen hat. Recht am Menschen wurde ins gute Recht am Recht im Menschen umgemünzt; Quelle der Glaubens- und Gewissensfreiheit. ’Ethik und Religion’ als Schulfach (indem über Religion gesprochen wird) verführt nun wieder zu Bekenntnissen von Wahrheiten statt ihrem Bewahren. Der Freude daran, Wahrheit des Geheimnisses (des Glaubens) zu bewahren, tritt ihr Geständnis im gängigen ‘Outen’ gegenüber (frei nach Wilhelm Schmid, Geburt der Philosophie).

Befriedigend, fast versöhnlich stimmte heute Abend, dass Skepsis als Ergebnis der Aussprache auftauchte. Möge sie das neue Schul-Fach Ethik & Religion begleiten. Religion bleibt das Salz (auch) in ethischem Argumentieren, zumal ‚sie selbst schon Aufklärung – als Religion’ – ist (Norbert Bolz)