‚Denken ohne Dogma’
Grundlage für den Text sind Gedanken vom Bündner Hanno Helbling (sel.)
… des Menschenrechts als liberal motivierte Menschenrechtspflicht im Sinne eines Engagements für den religiösen nachbarlichen Frieden in pluriverseller Zeit
H. H. veröffentlichte in ‚Liberalismus, nach wie vor’ 1979 aus Anlass von ‚200 Jahre Neue Züricher Zeitung einen Essay, darin er Freiheitsrechte, wie die Freiheit des Glaubensbekenntnisses, auch als Pflicht deklarierte. Daran sei hier zu erinnern, indem unsre Synode von Bivio 2007 nach der Komplementarität von Menschenrecht und –Pflicht, Obligo, in der Religion fragen wird. Helblings Gedanken seien deshalb hier auf ihre Dimension angewendet, das Menschenrecht als eine –Pflicht zu begründen, welche aus Glaubensfreiheit quillt.
Was zuerst Freiheit ist, orientiert der Autor an Luther; Sie ist, religiös gesprochen, die Freiheit, das Wort Gottes frei, d.h. ‚ohn Mass und Regel’ auszulegen. Freiheit rührt so aus dem Worte Gottes, wie es das Evangelium lehrt. Freiheit ist von Lehre her zu erlernen, und dieses Lernen hat frei zu sein. Sie ist umgekehrt auch eine Aufgabe dessen, den freien Zugang zu Gott zu schützen, indem die freie Annahme göttlicher Lehre ein Menschenrecht ist, das mit staatlichen Mitteln, wie sie der Staatsordnung dienen, zu gewähren, gewährleisten ist, in die Wahr des Staates zu nehmen ist. Der Zugang zu Gott soll, der christliche Zugang betonterweise, frei sein, ja der Staat soll dazu anhalten, in ihrer religiösen Freiheit auch eine Obliegenheit zu sehn. Der säkulare Staat verspricht seinen Bürgern zumal ja , was er nicht ohne Sukkurs der Religion zu bieten hat. Freiheit mag für Institutionen des säkularen Staates ebenfalls ein säkularer Bereich sein, niemand ist als Mensch jedoch ‚säkular’ (Dominik Helbling). Fragen nach dem Woher, Wohin, Warum bleiben. Die staatlich gewährten Freiheiten, Vertragsfreiheit hinsichtlich Inhalt & Form, sind im Obligationenrecht, von obligere, binden, vielleicht auch religere, religio, geordnet, Rechte existieren in einer (nur) besten von möglichen Welten im Ausüben von Freiheitsrecht als Pflicht, die sich an Werten, Elementen moderner Kultur orientiert. Welche Werte leiten nun im weiten Gebiete des Glaubens, das als absolut frei zu denken ist, hierzu an? Doch solche von verbindlicher, obligater Vorurteilslosigkeit demnach, welche in die sprachliche Verständigung unter Nachbarn einerseits, in die Kontrolle der Offenbarung durch die Vernunft anderseits gelegt ist. So weit, so gut, doch seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist Freiheit, Liberalismus, ein Ferment, das man noch in denjenigen Wirkungsformen erkennt, an welche der eigne Organismus sich nicht schon gewöhnt hat. Je weiter eine Kirche sich der Toleranz öffnet, desto eher vergisst sie deren liberale Quelle und desto mehr erscheint der Liberale, den sie sich noch gegenüberstehn sieht, als Freidenker, ja Häretiker, wiewohl dieser sich einzig an lehramtlich verwalteter Wahrheit, an Glaubenszwang reibt, sich an eine Glaubensvernunft hält, um damit einen Funken Freude für den Nächsten und uns selbst, dual, aus dem Evangelium als dessen Ereignis herauszuschlagen. Die Wertefrage ist eine offene.
Kann sein, dass insoweit hinter die moderne Vernunft bis auf den Punkt zurück zu gehen ist, da ihre metaphysische Komponente erodierte, Vernunft die Deutungshoheit über sich selbst erlangte, Beweis ihrer selbst wurde. Was verschwand dabei, als die Vernunft das Sagen an sich riss? Das zu beantworten fällt einer Archäologie, sie Archäologie als Lehre vom Anfange, d.h. von der ersten Wortbildung zu, an deren unterm Rande verstanden, an welchem sich die Frage nach der Ohnmacht des Redens bzw. eines Redens stellt, das sich gar nicht als sinnvolle Rede zu entwickeln hatte. Was ist mit dem Schweigen all dessen, was in einer Epoche als sinnlos galt, sich deshalb unserm Wahrnehmen a priori entzieht, es keinen Ausdruck fand, so dass sich der frei gedachte Raum des Religiösen verengte, der hang zu Dogmen wuchs, und: Umspannt denn nicht ein Bogen von Welt ein Schweigen, dem anheimfällt, was gar nicht vorkommen kann, weil unterschwellig lokale und universelle Codes ethische Normen relativieren und damit Einzelfreiheiten strapazieren, was zu Sprachlosigkeiten, Aphasie führt? Vielleicht, dass ein Qualifizieren von solchem Schweigen die Chance nach Goethes ‚Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gibt ein Gott ihm zu sagen, was er leidet’ in sich birgt, dass Freiheit als Pflicht sich nicht schon wieder dogmatisch mit Interessen des Rechts, Menschenrechts verbindet, das dazu neigt, für seinen eignen Schutz zu sorgen, sich dafür gegen Individualinteressen wendet. (Auch Menschen-) Recht hat Gewalt zu monopolisieren, dieses Monopolisieren innerhalb des Rechts sichert keinen Zweck, sondern beschützt das Recht selber, wie J. Derrida in ‚Der mystische Grund von Autorität’ sagt. Zu fragen ist m.a.W. nach einer Situation, darin Recht und Gewalt als Komplementärbegriffe erscheinen. Sie ist mutmasslich die der Revolution – oder des Menschenrechts als Menschenrechtspflicht, welche das Recht auf das freie Glaubensrecht aller einklagt, auf einen Vertrag zwischen Kirche, Staat und Gesellschaft zielt. J.J. Rousseau konstruierte noch einen – liberalen – Gesellschaftsvertrag per se innerhalb einer freien Natur, doch er sah die Natur durch die Brille des philosophischen Geistes. Wäre er seinem Ideal eines ‚edeln Wilden, Freien’ nahegekommen, wäre er ausserstande gewesen, Natur selbst als Sphäre der Freiheit zu erleben, wie Hans Zbinden (Im Strom der Zeit, 1964) dartat. Die Natur war zu Rousseaus Zeit hart, und deshalb war auch das Naturgesetz hart, deshalb waren die Menschen roh, Die Natur war Bereich der ‚reinen’Zwecke, bestenfalls Naturnotwendigkeiten und, je weiter zurückgehend, Furcht d.h. die Glaubensfreiheit ist keine natürliche, sondern eine von Interessen und Mythen, und wir haben heute auch kein Arkadien artifizieller Projektion mehr um uns herum, d.h. die Glaubensfreiheit ergibt sich, wenn sie sich denn ergibt, daraus, dass die freien Handlungen der natürlichen Notwendigkeit im Sinne derjenigen, zu tun, was Gott will entsprechen. Wir sind nicht frei, nicht zu wollen, doch wir sind für den Gebrauch der Willenskraft in Freiheit verantwortlich, indem wir hierfür bestimmt sind. Glaubensfreiheit als Menschenrechtspflicht, als Engagement hierfür, erscheint insoweit (im Sinne von John Locke) als ‚highly rational’, archaisch-liberal, quellengerecht liberal nach einer Art Glaubensvernunft, welche Kants Vernunftkritik rechtgibt: ‚Die Bedingungen der Erkenntnis eines Gegenstandes sind zugleich die Bedingungen des Gegenstandes der Erkenntnis. Der Mensch kann nur erkennen, was er überhaupt wahrnehmen kann und wofür er Begriffe hat.’ Religion, Glaube, Offenbarung sind solche in der Weise, wie sie uns zugänglich sind (Heinrich Fried, in Fundamentaltheologie), wir erachten sie uns ‚mit historischer Begründung’ nach so vielen Glaubenskriegen, welche den ‚rechten’, scheinbar ins Recht setzenden Glauben monopolisierten, eher als Pflichten er – und zuträglich, nämlich als ver-träglich als Menschenrechtspflicht als Produkt von Funktionen von einem Vertrage zwischen Staat, Kirche und Gesellschaft bzw. von Religion, Wirtschaft und Politik, daraus sich eine Instanz formt, welche zum – vernünftig begründeten – religiösen Frieden zu verpflichten hat. Wir können uns neben den verschiedenen Vorstellungen zur Religion einen Vertrags als Verträglichkeits, Toleranz-Begriff glaublich ja denken, welcher aus der den vielfältigen Vorstellungen von Religion zusammen zukommenden Rolle besteht, zugleich einen nicht trivialen Inhalt hat, ohne dogmatisch überformt zu sein, so daß die Glaubensfreiheit gewährt ist, das Wort Gottes , das ’alle Freiheit lehret, nit soll noch muß gefangen sein’ (Martin Luther in Sendbrief an Papst Leo X vom 6. September 1520), Glaubensfreiheit und damit religiöser Friede gebräuchlich zu werden haben, wir ‚geruhen’ Toleranz zu üben, statt dazu durch ein an sich selbst interessiertes Gewaltmonopol des Rechts verpflichtet zu werden. Wer anders denn theologisch Liberale wollen so als Gleichnis, in der Kraft des Evangeliums der Freiheit stehendes, wenn auch Gleichnis einer Minderheit anzeigen, dafür einstehen, pro-testieren (Protestant) , was verheißen ist, die Berufung in ein christliches Vaterhaus, darin viele Wohnungen sind (Joh. 14, 1-6) wo ein Gott ist, der alles in allem für alle sein wird.
Die Worte wurden in einer Zeit der letzten Worte gesprochen, um Mut für die Zeit nach Karfreitag, von Verwaisung zu machen. Die Heimstatt unseres Lebens, die wir bei Gott haben, ist nicht einräumig, einlinig, einförmig, Gott ist nicht einsilbig, eintönig, sondern als Komposition in vielen Melodien, Obertönen, Begleitstimmen zu begegnen, wie der Glaube, in dem wir leben, keineswegs ein einziges Gesicht hat. Er hat viele Möglichkeiten sich zu entfalten, sich in dieser Welt Raum zu verschaffen, ist dazu angehalten. In der Natur freuen wir uns längst über ihre kosmischgeordnete Artenvielfalt, die bedeutet, dass jetzt im Frühling mit dem frischen Grase die Farbkomponenten des Grün, blau und gelb, Krokus und Errantis spriessen, später die Tulpen in ihrem Rot als Komplementärfarbe vor grünen Hintergrunde. Woher also rührt die Angst vor einer dualen Religion eines einen – die schon heute naturgegeben weltweit eine Menschenart einenden – Gottes
Text von Jean-Claude Cantieni