sigs eso – Sikhs eso


Wie fühlen sie? How you feel about sikhs? Unterschiede, Gemeinsamkeiten. Das Thema einer Rede anlässlich der heutigen Feier der Gemeinschaft der Sikhs in Lotzwil.

Dieses Thema ist nicht eine leichte Aufgabe für mich. Karan Singh hat sie vor drei Tagen an mich gestellt. Ob ich seinen Erwartungen gerecht werde, weiss ich nicht. Aber wir haben den Weg noch immer zusammen gefunden, auch wenn wir eigentlich total gegensätzlich sind. Er gelernter Koch, ich Vermögensverwalter mit ökonomischem und ökologischem Hintergrund, ich Vorstandsmitglied der Liberalen Reformierten der Schweiz und nach 6 1/2 Jahren abtretender Kirchgemeinde-Ratspräsident der reformierten Kirche Langenthal und er Projektleiter für den Bau des Sikhs-Tempels der bald eingeweiht wird. Einerseits weiss ich, dass viele Sikhs anwesend sein werden, andererseits auch, dass die indische Fernsehstation Aufnahmen machen will. Schon nur die Wahl der Sprache ist nicht einfach. «Sprechen sie deutsch!» – so Master Karan Singh. Es sind Sikhs hier, die in Genf wohnen, besser Englisch den Französisch können, Leute aus der Deutschschweiz sind anwesend, die vermutlich die Sprachen aus dem Punjab verstehen. Pakistan, Indien , Nepal – hier versteht man mich nur auf Englisch. Aber umgekehrt ist es für mich auch nicht einfach. Ein indisches Englisch, bei dem ich oft meine Mühe habe. Und gerade deshalb verstehe ich mich mit Karan Singh gut. Keine englische oder amerikanische Aussprache, etwas Eigenes, etwas, ähnlich wie das Berndeutsche im deutschen Sprachgebiet. Beide Sprachen sind gemütlich und es verlangt Konzentration, um diesen Dialekten zu folgen.

Konzentration ist etwas, das den Christen oft nicht gegeben ist. Wir sind ungeduldig, hastig, wollen immer möglichst alles schnell machen. Das gefällt mir an den Sikhs. Man hat Zeit. Man nimmt sich Zeit. Man diskutiert, philosophiert und versucht sich zu arrangieren damit man sich verstehen kann. Wir wohnen alle in der Schweiz, arbeiten in der Schweiz und einige fühlen sich besser aufgehoben in diesem Land, das seit Jahrhunderten einer Insel gleicht, als andere. Sikhs sind Personen, deren man ansieht dass ihre Wurzeln nicht einheimisch sind. Die Männer tragen einen Turban – orange zu festlichen Anlässen oder in irgend einer Farbe, vorwiegend schwarz oder blau. Ein religiöses, kulturelles Erscheinungsbild wie es in unserem Nachbarstaat Frankreich zumindest in öffentlichen Schulen verboten ist.

Hier bei uns kommt man dank solchen «Äusserlichkeiten» ins Gespräch. Man ist anders – aber die meisten denken gar nicht anders als liberale Christen. Im Herzen fühlen wir ähnlich, aber wir wurden anders erzogen. Es sind Äusserlichkeiten die uns unterscheiden. Sikhs schlafen sogar mit einem einfachen Turban und deshalb weiss ich gar nicht, ob mein Kollege Karan Singh wie ich eine Glatze hat. Er hat aber einen längeren Bart, schneidet seine Haare nicht. Ein Bart ist einerseits eine kulturelle Ausdrucksweise, die im nahen und mittleren Osten zum normalen Erscheinungsbild gehört. Bei uns sind Bartträger wie ich eher die Ausnahme – eher konservative oder auf der andern Seite moderne Menschen tragen bei uns einen Bart. Man fällt auf, tanzt eigentlich aus der normalen Rolle.

Bei uns sieht man in Bergregionen häufiger Bartträger und ähnlich, wenn man den Punjab, Pakistan, Indien, Kaschmir und Nepal Richtung Osten über die Berge des Himalaja verlässt, wird ein Bart nicht mehr zum religiösen Symbol, sondern zu einem genetischen Erscheinungsbild. In China, dem Nachbarland gibt es wenige Bartträger – sie sind selten. Meist nur alte, weise Männer tragen einen Bart. Keinen Vollbart, eher schütter, locker. Bartträger wie wir sind selten und fallen entsprechend auf. Nicht negativ, man bringt ihnen Hochachtung entgegen. Nicht so bei uns. Bartträger sind eher selten, erinnern fast eher an das Mittelalter und trotzdem sind es meist Charakterköpfe. Das gefällt mir an den Sikhs, Wir haben es mit Charakterköpfen zu tun, Menschen die ihre Heimat verlassen haben und bei uns auffallen. Nie negativ.

Menschen, die nicht wie wir aussehen, aber ähnlich denken, modern denken. Mann und Frau sind bei den Sikhs gleichgestellt – bei uns zumindest rechtlich, aber vielerorts noch nicht ganz gesellschaftlich. Ein Gedankengut, von dem wir Westeuropäer noch einiges lernen können. Eine liberale Haltung, wie sie in unserem Land, unserer Religion noch nicht überall vollzogen wurde. Von den Sikhs, vermutlich der liberalsten Weltregion können wir noch einiges lernen. Deshalb gefallen mir die Liberalen, die Sikhs ganz speziell. Sie sind globalisiert, denken aber vor allem an den Mitmenschen, sind vorausschauend, zukunftsgerichtet und doch ihrer Herkunft verpflichtet.

Globaler Handel ist mit liberalen Menschen einfacher, ehrlicher. Beide Seiten müssen profitieren und deshalb spielt eher die grundlegende, persönliche Einstellung eine Rolle, als der Glaube. Das ist eine Gemeinsamkeit, die liberale Menschen verbindet. Ihre Weltanschauung ist ähnlich, das Geniessen des Lebens auch. Kochen, Essen ist eine Kultur, eine Gemeinsamkeit und trotzdem sind gerade diese Gebiete ganz unterschiedlich. Gewürze, Kräuter, Fleisch, Alkohol sind Dinge, die uns unterscheiden und die uns gegenseitigen Respekt abverlangen. Zusammen zu Essen, zu Trinken, das bringt uns näher zusammen. Ich geniesse das, lerne von anderen. Bei uns zuhause in der Küche zum Beispiel hat Karan Singh, ähnlich wie bei den Amerikanern freien Zugang – help yourself, you are part of our family. Er nimmt sich auch selbst gleich ein paar Pantoffeln. Das ist Achtung der Kultur, Integration. Es geht ja nicht darum, dass Religionen mit oder ohne Schuhe im Haus leben, sondern im Grunde genommen handelt es sich um ein praktisches Problem. Man will keinen Schmutz ins Haus bringen.

Kleine Unterschiede, aber die Weltanschauung ist ähnlich. Man lernt von einander, lebt zusammen und respektiert die andere gesellschaftliche Verhaltensweise. Das ist was gefällt. Gemeinsamkeiten, Unterschiedliches und viel Verbindendes. Man lebt im gleichen Land, in der gleichen Stadt und bringt gegenseitigen Respekt auf. Etwas, auf das wir in den nächsten Jahrzehnten noch mehr achten müssen. Fremde oder anders Aussehende müssen sich bei uns integrieren könne, integrieren wollen und trotzdem die Möglichkeit haben ihr kulturelles Gedankengut zu erhalten.

Die Religion, bei Fanatikern ein Gegensatz, bei Liberalen, gleich welcher Religion etwas Verbindendes. Deshalb freute es mich ganz besonders, dass wir an der «2. Kappeler Milchsuppe» die durch die liberalen Reformierten organisiert wurde, auch Katholiken, Methodisten, Muslims, Christkatholiken, Aleviten und Sikhs als Referenten hatten. Ein breit zusammen gewürfeltes Gedankengut, das religiösen Frieden fördert und gemeinsames Vertrauen bildet. Im Mai wird in Bern «Rat der Religionen» gegründet, der auf offizieller Seite ähnliche Ziele hat und vermutlich in dieser Art einmalig auf der Welt sein dürfte. Zu befürworten ist, dass im vorgesehenen Gremium noch einige Lücken gestopft und Hindus, Budisten, Sikhs und weitere zugezogen und angehört werden. Und vermutlich wäre es im dritten Jahrtausend nach unserer Zeitrechnung, auch angebracht, Frauen ein zu beziehen.

Für den Gudwara, euren Tempel der Sikhs wünsche ich viel Erfolg und es freut mich, dass er in Langenthal erbaut wurde. Vermutlich nicht von ungefähr, denn Langenthal ist zentral in der Schweiz, die Schweiz mitten in Europa – also eigentlich im Herzen der Welt. Und die Welt, unsere gemeinsame Welt, habt ihr Sikhs im Herzen und ihr strahlt diese Einstellung auch aus. Auf Berndeutsch: «Sigs eso» – so soll es sein. Oder gleich ausgesprochen: «Sikhs eso.»

Nachtrag: gefeiert wurde Vaisakhi, das «Fest der Ernte» und der Geburtstag der Khalsa-Gemeinschaft, das üblicherweise am 14. April stattfindet.

Sikhs

Text und Fotos: Stephan Marti-Landoltfinanzblog

Bilder vom Friedensmarsch

Bilder vom Friedensmarsch

Pfarrer Sieber und Karan Singh am Friedensmarsch in Bern.

Im Gegensatz zu vergangenem Samstag, wo Krawalle vor der Berner Reitschule stattfanden, war der Friedensmarsch, wie sollte es anders sein, äusserst friedlich. Pfarrer Sieber: «Die Polizei interessiert sich ja nicht einmal für uns, die hören uns gar nicht zu.» Ja, die vier von der Berner Stadtpolizei gaben gerade einem Touristen eine Auskunft. So sollte es eigentlich sein und ich konnte mit einer Polizistin lange diskutieren, während vor uns Sikhs, Christen und Muslims friedlich miteinander auf abgesperrten Strassen einen Rundgang machten. Klein, aber fein.

Sieber 1

… Pfarrer Sieber und der Sikhs Karan Singh im Gespräch …

Musik

… Sikhs beim Musizieren …

Tourban

Turban und Mützen, als religöses Ausdrucksmittel, Uniformbestandteil und weil es «in» ist. Sie wissen nicht, wie einen Turban binden?

Salat

«… es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen den Teilnehmern des Friedensmarsches und einem Salat. Beide haben ein gutes Herz!»

Heiligenschein

«… es gibt viele Christen, die einen Heiligenschein zur Schau stellen …»

Oppenheim

… die Spitze des Friedensmarsches vor dem herrlichen Meret Oppenheim Brunnen, der im UNESCO Weltkulturgut Bern vor 23 Jahren riesige Diskussionen auslöste …

Polizei

… Karan Singh bedankt sich bei der Berner Stadtpolizei – im Hintergrund links die Polizeikaserne …

… jeweils ca. 10 Minuten nach der vollen Stunde im Fernsehen ein kleiner Beitrag auf TeleBärn.

Fotos und Text: Stephan Marti-Landoltfinanzblog