Der neue Uno-Menschenrechtsrat im Realitätstest’ titelt die NZZtg. vom 3. Juli a.c. (S. 3). Diese Realität sieht für das Menschenrecht auf religiöse Toleranz, religiösen Frieden prekär aus. Beides war neben weiteren vier Themata als für die erste Session dringlich qualifiziert. Die westliche Gruppe hatte die Glaubens- & Gewissensfreiheit, für welche unser Verein ins Leben gerufen ward und dafür in der Verfassungsrevision von 1874 ‚lobbiert’ hatte, in die Menschenrechtspraxis zu integrieren gesucht, doch sie unterlag. Asien und Afrika haben eine numerisch deutliche Mehrheit im Rate. Ob diese internationale prekäre Ordnung für das unterschlagene Menschenrecht auf religiösen Frieden gar auf die inländische Praxis abfärbt? Der Dachverband freier Protestanten sieht sich plötzlich davor gestellt, Selbstverständlichkeit in Frage gestellt zu sehn. Bleibt auch zu fragen, ob denn richtig ist, dass die Stimmen im Menschenrechtsrate zu zählen statt auf ihre Qualität hin zu wägen sind?
Der Rat hat nun ein Jahr Zeit, sein Funktionieren zu definieren. Unser Dachverband spricht per Blog aus dass dieser, der sich das Menschenrecht für religiösen Frieden als Perspektive seines Engagements an seiner letzten ordentlichen Mitgliederversammlung in Kappel, 2005, gewählt hat, das Signal aus Genf besorgt zur Kenntnis nimmt. Er sieht sich gehalten, die gesellschaftlichen Kräfte im Landesinnern anzuspornen, sich für religiöse Toleranz qualifiziert zu engagieren, um dem schweizerischen Vertreter im Menschenrechtsrat, Herrn Botschafter Blaise Godet, Rückhalt in seinem eignen Engagement zu geben, die freiheitlichen Grundwerte der schweizerischen Verfassung universalistisch zu verankern. Glaubens- &Gewissensfreiheit als Sicherheit des religiösen Friedens sind Teil eines Weltgewissens und keineswegs strikt Ausdruck einer etwa als europäisch empfundnen bzw. aussereuropäisch teils abgelehnten Aufklärung. Der Schweizerische Dachverband freier Protestanten besteht darauf, dass religiöser Friede Rechtscharakter in der Zivilgesellschaft mit historischer Begründung zu beanspruchen hat. Geistliches und weltliches Gericht zu verquicken, zeitigte schlimmste Folgen, so den dreissigjährigen Krieg zwischen 1618 bis 1648 und Hexenverfolgungen. Der negative Abstimmungsvorgang des erstmalig zusammengetretenen Menschenrechtsrates ruft nach einer zweiten Aufklärung mittels u.a. Menschenrechten auf religiösen Frieden, welches der damalige amerikanische Präsident Roosevelt ein erstes Mal in der Folge der parareligiös motivierten Verfolgungen unter anderem von Juden im Weltkriege 1939- 1945 artikuliert hatte.
Der schweizerische Dachverband theologisch-liberaler Christen engagiert sich dafür, dass die Schweiz zu einer Sphäre wird, in welcher das Menschenrecht exemplarisch seine Chance hat, d.h. Menschen, die sich darin verletzt sehn, aufzustehn wagen, klagen, darin anzuhören sind. In diesem Protest verbinden sich Individuum und Protestantismus, aus welchem heraus der Dachverband gegründet wurde.
Ein so kleines Land wie die Schweiz besteht heute, idem es sich dem Diskurs ums Menschenrecht beispielhaft stellt, denn durch das nahe Zusammen-Sein von Menschen in ihm wird ein vielleicht zu wenig beachtetes Interieur, eine Mikrosphäre. Sie ist ein empfindliches und lernfähiges seelenräumliches, wenn man will moralisches, System gestiftet, in welchem das Wir sich versus Ich als das wichtigere Phänomen verkörpert. In einer Zeit, welche von Elementarteilchen fasziniert ist, versteht sich eine solche These keineswegs von selbst. Menschliche Nähewelten charakterisieren sich als surreale Räume, was wir betonen um darzutun, dass selbst nichträumliche Verhältnisse wie Sympathie, Verständnis, Toleranz sich in quasi räumliche Verhältnisse übersetzen, um vorstellbar und lebbar zu sein (P. Sloterdijk). Der Human-Raum ist ‚ an sich’ von Anfang an, buchstäblich ab utero, zunächst bipolar, dann pluripolar geformt. Er ist von einem beseelenden Ineinandergreifen von Lebewesen, die auf Nähe hin orientiert sind, geprägt. Alle Chancen von Liebe Freundschaft, Konkordanz, Nachbarschaft, Nächstenliebe darüber hinaus, sind darin beherbergt. Schweizer sind insoweit von Natur aus das Genie der Nachbarschaften, als solche über die natürliche Grenze hinausreicht (bspw. im Gotthard, und d.h., dass das Massensymbol der Nation ist das Land selbst (E. Canetti). Dass dem so ist, die (Eid-)Genossenschaft e i n e Nachbarschaft ist, darin das Menschenrecht favorisiert eine Chance hat, verdankt die Schweiz auch vielen Ausländern, ob Gästen oder Eingebürgerten. Sie beförderten solche corporated identity, und auch deshalb will die Schweiz das universalistische, kosmopolitisch engagierte Menschenrecht gleichsam in der Tradition eines rationalen Naturrechts sanktioniert wissen. Unser Dachverband freier Protestanten erachtet sich darin als fördernd gefordert.
In der Schweiz bewegen wir uns in einer Nachbarschaft a priori, indem wir morgens ausziehn und abends von welcher Konferenz wir wo auch zurückkehren, wieder daheim sind. Nachbarschaft bedeutet Zugangschancen zueinander. Wir sind von zuhause aus Nachbarn. Die Schweiz erschliesst sich einer Archäologie fürs Mitseiende, Andere, Äussere, etc.). Das Menschenrecht auf religiösen Frieden bedeutet damit zugleich Einsicht in eine ekstatisch-surreale Natur des erlebten und bewohnten Raumes . Selbst Übertreibungen mit dem Menschenrecht sind Stilmittel, Verfahren, Zusammenhänge zu verdeutlichen. Das Menschenrecht, das sich ‚draussen’ sch schwer tut, wie der Menschenrechtsrat bezeugt, gilt hier, oder das bittere Wort F. Dürrenmatts greift, wonach die Schweiz sich dereinst, indem sie des ‚inklusiv- empathischen Gefühls’ für das menschenrechtlich Erreichbar verlustig geht, wie ein Stück Zucker im Café aufzulösen hat. Lokale Existenz der Urkantone löste sich einst in eine Eidgenossenschaft auf. Der beseelte Ort (der Waldstätte am Rütli) schwoll bald einmal zur All-Sphäre mit militärischen Auslandsabenteuern an. Die Schweizer Seele glaubte darin, Halt zu finden. Rücksichtloses Vereinfachen durch Expansion war dafür gedacht, den Weg zum (nationalen) Heile zu bahnen. Diese Blase – Seifenblasen wussten für Nietzsche noch am Meisten vom Glücke – ist zerplatzt, doch hat, um wieder mit einem Philosophen Peter Sloterdijk, zu folgern, ein grosses Übertreiben ausgedient, ereignet sich das Faszinosum, dass sich Schwärme von diskreteren Aufschwüngen erheben, deren wichtigster die Sorge für das Menschenrecht auf religiösen Frieden’, über welches wir den öffentlichen Diskurs ‚mit historischer Begründung’ bzw. im Zurück zu den Quellen’, zum Entstehen unseres Dachverbandes) zu entfachen haben.
Bildlich gesprochen; Als eine Blase wie die einer militärischen Option, gar Mission der alten Schweiz zerplatzte, entstand daraus ein fragiler Schaum, namens Neutralität, aufgelockerte Struktur von Blasen. Was geschieht da? Mischbarkeit von gegensätzlichen Stoffen, die im Schaume zum Phänomen wird. Der Schaum eine Metapher für das Menschenrecht und seine Praxis für den religiösen Frieden in einem multipolar aufgelösten Kosmos? Bleibt zu hoffen, indem dem leichten Moment des Schaumes als Metapher für Neutralität, der fast nichts und doch nicht nichts ist, die fragile Gestalt eines Menschenrechts hat zukommt. Neutralität, verstanden als Engagement für das neutral-universelle Menschenrecht dringe ins Schwerere der Erdenlast mit ihren Verletzungen des Menschenrechts ein. Erde mit Luft vereint gibt stabilen Schaum, wie Lavastein oder verschäumtes Glas – ein Bild, welches der Philosoph Peter Sloterdijk zeichnete – statt Granit, Gotthard, aus welchem die Réduit-Schweiz sich emanzipierte. – Möge dieses Bild vom religiösen Frieden als Luft, Aether, Ruch Gottes im Alten Testament, die sich mit Erde zum verschäumtem, haltbaren, transparentem Glas verbinden, im Engagement für das Menschenrecht für den religiösen Frieden in der Schweiz anleiten.
Jean-Claude Cantiene, Chur