Kategorie-Archiv: 01 Wer ist libref.

Kleiner Vorrat an Publikationen


An der heutigen Vorstandssitzung beim Neumünster in Zürich haben wir beschlossen, unseren Vorrat an Broschüren interessierten Kreisen gratis abzugeben.

– «Missverstandene Bibelworte«
von Max Ulrich Balsiger, Meikirch

– «Das Buch Daniel und seine Botschaft von den letzten Dingen«
von W. Baumgartner, Basel – Mai 1944

– «Neue Chancen und Möglichkeiten Liberaler Theologie» von Friedrich Wilhelm Graf, München und «Der Liberalismus zwischen gestern und heute» von Berard Reymond, Lausanne – 2002

– «Freiheit und christlicher Glaube«
von Ulrich Wilhelm, Hans Heinrich Schmid, Bruno Schmid, Bernard Reymond und Clemens Frey – 1999

Wenn sie eine Broschüre möchten senden sie ein frankiertes Couvert mit ihrer Anschrift an S. Marti, Matt 18, 5046 Schmiedrued – für die ersten drei ein C5- und die letzte Broschüre ein C4-Couvert. Und vergessen sie nicht anzugeben, welche Broschüre(n) sie möchten. Es hat solange unser Vorrat ausreicht.

Vor einem Jahr:
140-jährige Geschichte – Gratisdownload der Essays des prix libref. 2011

Vor 2 Jahren erschienen:
Zum Gedenken an Anne-Marie Bianchi-Segond

Vor 3 Jahren erschienen:
Scientology – die Glaubensfreiheit hat nun Grenzen

Vor 4 Jahren erschienen:
SRV 1 2003

Vor 5 erschienen:
Schliessen sich Gleichheit und Freiheit letzlich aus?

Vor 6 Jahren erschienen:
Freikirchen wollen anerkannt werden

© libref – Text: Stephan MartiFinanzblog

"Albert Schweitzers unheimliche Nähe zur DDR"


… weiterlesen in der «Bernerzeitung«.

Bitte beachten sie die Kommentare. Bis auf einen wird alles als Miesmache hingestellt. Einer will die Blindheit gegenüber Schweitzer aufdecken. Surfen sie im Internet herum, was der «Gegner» so alles für Spuren hinterlässt. Ich denke, im Kapitel Schweitzer gäbe es andere Sachen, die man anschauen müsste. Nicht Geschichtsforschung, was heute abläuft. «Es kann vorkommen, das Nachkommen, falsch rauskommen», hat mir vor kurzem eine Stechmücke gesagt.

Das wäre doch was zum Recherchieren, an den Tag zu legen. «Was geschieht mit dem Erbe?» Ja, inklusive der politischen Briefe, die eigentlich den kleinsten Teil ausmachen dürften.

Afrika ist weit weg. Wer weiss, wie es heute dort aussieht? Umgekehrt ist vielleicht auch gefahren. Aber Schweitzer brauchte Geld. Nicht für sich, wie das heute meist der Fall ist. Er wollte helfen. Und hat geholfen.

Spendensammeln ist Marketing pur. Und anscheinend hat er die damaligen Möglichkeiten genutzt. Heute sprechen wir von Bill Gates als Helden, wie der spendet. Aber im Grunde genommen hat er ja fast die ganze Menschheit über den Zaun gezogen. Wer hat nicht schon viel Geld für Microsoft ausgegeben und erhält jedes mal eine alte Lösung, die neu aufgemotzt ist … und man sich zuerst zurechtfinden muss, wo was gesucht und gefunden werden kann. Gates setzt nur einige Prozent wohltätig ein … Schweitzer hat sein Leben geopfert.

Dann ist vermutlich noch etwas, was Schweitzer reizte. Die medizinische Unterstützung. Im Osten wurden die Mediziner anders ausgebildet, als im Westen. Ich würde es als ganzheitlicher einstufen. Mit weniger Finanzen. Kuba lässt heute noch grüssen. Und ein kleiner Tipp. Wenn sie mal einen gesundheitlichen Befund haben, den man im Westen nicht heilen kann, dann suchen sie sich einen alten DDR-Mediziner aus … ich wüsste, zu welcher Aerztin ich gehen würde. Aber mir ist bekanntlich immer zu helfen.

So, nun wäre es an der Zeit, dass andere, Eingefleischte schreiben. Wer den Mut nicht hat, das Kapitel Schweitzer im eigenen Namen zu vervollständigen … wir können auch Texte entgeisten … statt dem Ghostwriter stellen wir ihren Text um, dass man den Schreiber nicht erkennt. Denn in diesem heilklen Fachgebiet kennt man die Schreibweise.

Liberale wehrt euch. Oder seid auch ein bischen links. Und wer früher links war, der ist heute in der Mitte und da wären wir schon bei „Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn

„Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn“


Ein Thema, das die heutige Bevölkerung interessiert. Die Dampfzentrale war restlos ausgebucht. Lesen sollten die Beiträgevor allem jene, die die heutige Kirche mitgestalten. Auch hier zeichnet sich ein Umdenken an.

Der Beitrag der Gewinnerin Sabine Frambeck beim 6. «Bund-Essay-Wettbewerb» ist noch nicht aufgeschaltet. Ein pfiffiger, wortspielerischer Aufsatz um das Wort «Gott». Ihr Kommentar bei der Preisverleihung: «Oh mein Gott, ich hab gewonnen» und ihre Schlussworte beim preisgekrönten Essay: «Amen – fuck.»

Und der Moderator, der Komiker Müslüm, muss bei einer Pubikumsabstimmung feststellen, dass mehr Zuschauer ein Facebook-Account haben, als dass es welche gibt, die an Gott glauben und eigentlich möchte er jetzt Kebab essen.

221 eingereichte Beiträge. Ein tolles Resultat. Mein Zuschauer-Nachbar hat auch geschrieben. Sein Beitrag würde ich gerne hier wiedergegen. Vielleicht liest er es. Er schreibt unter anderem darüber, dass Leute, die an Gott glauben, den Gott entweder in sich fühlen oder ausserhalb von sich. Mein Gott – falls es den gibt – wäre in mir zu suchen.

Aber lesen sie doch selbst, was ich geschrieben habe. Ich bin so liberal, dass ich sogar die Stellung der Liberalen im religiösen Umfeld neu platzieren möchte. Nicht mehr in der Mitte oben – eher rund ums «Fadenkreuz».


1. Ein Durchschnittsgott?

„Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn“. Eine Durchschnittsmeinung? Wir wissen es nicht. Viele, gar die meisten die so denken, kann man nicht statistisch erfassen. Oder doch? Ist es am Ende die Differenz zwischen den Kirchensteuerzahlenden und den Kirchenbesuchern. Davon gibt es jede Menge, zumindest im Kanton Bern. Ja, die Berner Kirche kenne ich besser, trotzdem ich im nahen Ausland gemeldet bin. Das ist auch so eine Glaubenssache. Warum bist du nicht nach Südfrankreich gezogen? Warum um Gottes Willen gerade in den Kanton Aargau? Wenn es diesen Gott wirklich gibt, dann haben die Aargauer und die Ber-ner den gleichen. Wetten!

Aber lasst mich doch über den Durschnittsgott schreiben. Den kennt nicht einmal Bill Gates Microsoft. Der mit roter Wellenlinie unterstrichene Durchschnittsgott existiert in Langenthal. Oder eben vielleicht auch nicht. Die Langenthaler, das sind hochanständige Durschnittsmenschen – sagen die Statistiker. Mancher wäre froh Durchschnitt zu sein. Zumindest die Anleger, die in göttliche Indexware investieren. Mancher mag sich mit dem Durchschnitt nicht zufrieden geben.

Rund sieben Jahre war der Durchschnittsgott mein ehrenamtlicher Chef. Ich CEO Church. 7 haben die heisse Suppe ausgelöffelt, 7 in der Kirche gelobpreiset, gepoltert und orgelgetastet, 7 haben administriert und verwaltet, 7 gereinigt, geöffnet, Kerzen angezündet und wenn Spannung angekündigt wurde, so kamen 70 in die Kirche oder ins Kirchgemeindehaus. Und im Jahresschnitt hat man so an die 700 verschiedene Gäste und Mitwirker in der Kirche angetroffen. Und dann hatten wir noch 7000 andere Kunden. Die traf man höchstens eher zufällig an einer Taufe, Hochzeit oder bei Beerdigungen .

Für viele dieser 7000 trifft der Satz „Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn“ vermutlich zu. Nicht nur in Langenthal. Überall auf der Welt. Das sind beileibe keine Gott losen Menschen. Die stehen dem Glauben näher als mancher, der sonntäglich in einen Predigtsaal rennt, oder diejenigen, die am Freitag rennen, Frei(tags)-übungen machen, am Samstag rennen, den Boden Küssen, Schlangen beschwören, Götter duzendweise zum segnen auffordern.

Logisch betrachtet gibt es keinen Durchschnittsgott. Wenn es einen Gott gibt, dann gibt es nur einen. Nur einen einzigen. Für jeden den gleichen. Ob reformiert oder katholisch, landes- oder freikirchlich organisiert oder sonst wie Christ, Jude, dem Islam, Hinduismus oder Buddhismus und weiteren angehörend. Den vermisse ich. Manchmal. Den vermissen viele andere auch. Vielleicht sogar immer.

2. Gott ist nicht durchsichtig, aber transparent!

„Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn“. Wie sieht er denn aus? Schwarz und weiblich – wer weiss. Viele begreifen nur, was sie sehen oder nachvollziehen können. Und genau das ist in der heutigen Zeit schwierig. Sich einen Gott vorzustellen, von dem man sich kein Bildnis machen soll ist viel einfacher, als die heute Um- und Mitwelt zu kapieren. Die meisten wolllen nur kopieren. Geld- und Bonigier, Finanz-, Euro- und Dollarmisere, all dies kopfen wir nicht mehr. Ganz zu schweigen von unsinnigen Kriegen und den technischen Energiepannen. Technisch? Menschlich wäre wohl angebrachter. Und kein Gott der aufrüttelt. Viele, wenn nicht gar die meisten vermissen ihn manchmal, immer öfters. Wieso lässt er das zu? Und gottlob keiner, der am gierigsten zu wachstumsstärker und maximierender aufruft.

Danke, dass sich zumindest einige in der Kirche die Machenschaften der heutigen Zeit nicht gefallen lassen. Sich zu Wort melden. „Reformiert“ sei Dank. Die reformieren wirklich. Mutig? Nicht wirklich. Aber ehrlich. Die denken, was die meisten von uns insgeheim denken. Die Kirche sollte sich mit dem Alltag auseinander setzen. Durchleuchten und Transparenz schaffen, nicht undurchsichtig sein. Eine doppelte Verneinung – genau genommen ist die heutige Kirche durchsichtig, nicht transparent. Eine Wortklauberei, werden jetzt viele sage. Die Sprache ist manchmal genauso unpräzise, wie Politiker und Kirchenpolitiker.

Etwas mehr für die „7000“ statt die „700“ tun. Sonst laufen die auch noch davon. Ich habe schon etliche Predigten über mich ergehen lassen. Wer nicht hingeht, muss sich dies nicht gefallen lassen. Es gab auch spannende Predigten. Die sind aber selten und leider im Kirchenzettel nicht als solche gekennzeichnet. Dann loben wir uns doch das sonntagmorgendliche Frühbad. Wenn es zu transparent ist, kippen wir halt etwas göttliche Lotus-Badeessenz dazu. Sprudeln und schäumen lassen, das macht Spass. Lassen wir doch Gott öfters sprudeln, die Kirche soll überschäumen. Ein richtiges Gedränge habe ich nur einmal in kirchlichen Räumen erlebt. Kaum zu glauben, ja glauben, wir haben eine singende Schlange angebetet, eine Anakonda genau genommen. Vielleicht würden „a der schöne grüne Aare na“ mehr Menschen auf einem harten Velosattel Ausschau nach Gott halten, als sonntags auf der harten Kirchenbank.

Wir brauchen einen knallbunten, farbigen Gott, einen Gott an dem wir bildlich gesehen Freude haben. Einen, der begeistert, den wir echt anbeten können. Wir brauchen weder einen durchsichtigen und schon gar keinen undurchsichtigen Gott. Ich vermisse aber manchmal einen transparenten Gott. Oder sollte man besser sagen, ich vermisse manchmal eine transparente Kirche. Und viele andere wohl auch. Einige vermutlich nicht nur manchmal, sondern öfters, mehrheitlich oder gar immer. Sonst würden sie ja nicht aussteigen. Oder umsteigen.

3. Gott ist nicht liberal – Gott im Fadenkreuz

„Ich glaube nicht an Gott, aber zumindest manchmal vermisse ich ihn“. Die Kirche ändert sich zu wenig – schnell zumindest. Was soll es, meine ist ja über zweitausend Jahre alt und hat eben wieder Geburtstag gefeiert. Unbefleckt soll es damals von statten gegangen sein. Eine Kuh war zugegen. Heute ist dieses Fleckvieh nicht nur unbefleckt, die sind gar genmanipuliert. Die Welt wäre vermutlich besser herausgekommen, wenn man Jesus im Jahre Null geklont hätte. Von solchen Typen bräuchte es viel mehr. Der war modern und hat begeistert. Für Friede, Freude, Eierkuchen. Heute begeistern welche noch für Krieg, Rap und LC1-Joghurts. Rap ist ja nicht schlecht, das heisst klopfen oder pochen – sinnvoll, wenn sinnvoll gepocht und nicht verklopft wird.

Nehmen wir unseren Gott doch mal ins Fadenkreuz und stellen ihn dorthin, wo er unserer Meinung nach hingehört. Schauen wir uns das bekannte Fadenkreuz der politischen Masse an. Links ist links, rechts ist – sie erraten es – rechts und unten konservativ. Kaum zu glauben, obschon wir diese Tätigkeit, glauben, ja eigentlich in der Kirche machen sollten, oben bezeichnen alle mit „liberal“. Bei dieser multidimensionalen Skalierung, die uns populär oder je nach Einstellung popu-plär von Smartvote omnipräsent sekundengenau nachgeführt vor Augen gehalten wird, liberal ist immer oben. Und oben ist Gott. Und Gott, wenn es den allenfalls doch gibt, ist nicht oben. Zumindest nicht liberal, hoffentlich aber modern, zukunftsgerichtet.

Das Gegenteil von Links ist Rechts. In der Kirche, dem Glaubensempfinden genau genommen, bei libref.ch haben wir es Kirchen-Politische Ausrichtung genannt, geht es von links vom Freidenker über das Fadenkreuz rechts nach evangelikal. Genau genommen ist es nicht das eindeutige Gegenteil. Das Gegenteil von Konservativ ist aber auch nicht Liberal. Eher modern, an die Zukunft glauben und nicht am Alten festhalten. Zukunftsgerichtet eben.

Huch, wenn das veröffentlicht wird, dann gibt es Haue. Liberal nicht oben! Aber einer muss es doch schliesslich sagen und auch mal schreiben. Liberal ist schon lange nicht mehr oben. Eher in der Mitte … und den Spruch habe ich schon öfters platziert: „Mancher Liberale ist nicht mit der Zeit gegangen und wurde Konservativ“. Böse?! Nein, leider der Wahrheit entsprechend. Liberal ist nicht mehr immer das, was es war. Vielleicht müsste ich einer Gattung angehören, die sich besser nicht „libref“ – liberal, reformiert – nennt. Dringend müssten sich eigentlich dieses Überbleibsel umbenennen – futref. Futuristisch, reformierend. Oder zumindest „mitref“ – mit der Zeit gehend, reformend, ändern, überdenken. Wie die schweigende Mehrheit. Eben mit der Zeit gehen und sonst gehen sie mit der Zeit. Genau wie die Kirche sind die heutigen Liberalen – langsam aussterbend. Das müsste Frau und Mann ändern. Gott, glaube ich, wird höchstens zuschauen. Die schweigende Mehrheit muss nicht an die Macht kommen. Aber sie muss wahr und nicht als Ware genommen werden. Sonst werden in Zukunft noch wesentlich mehr austreten – einige davon nur umtreten, weil sie in Zukunft intensiver an Gott glauben.

Gott im Fadenkreuz. Nicht in einem faden Kreuz, nicht am Kreuz und nicht nur an einem Faden. Salzig, würzig, pfeffrig soll Gott oder doch eher unsere Kirche sein.

4. Gott – barmherzig oder knallschwarz

Barmherzig, was heisst das eigentlich. „Herz“ kennen wir, hoffentlich läuft es noch lange. Rund, „zig“ Millionen Mal schlägt es. Bei den meisten absolut zuverlässig, bei der Mehrheit der Leser über eine Milliarde mal. Eine unvorstellbare Meisterleistung. Gibt es am Ende doch einen Gott? Das gibt doch ein wenig Herzklopfen, wenn man sich überlegt, wie oft schon bei allen Lebewesen die jemals gelebt haben, das Herz geklopft hat. Das ergibt eine Zahl mit zig Nullen. Und trotzdem haben wir Mühe, uns einen Gott vorzustellen, den wir uns ja gar nicht vorstellen sollen. Und fragen können wir ihn auch nicht.

Fragen wir doch den Duden. „Barm“ nähme mich noch Wunder. 0 Treffer – oder meinten Sie: arm, warm, Darm? Vielen wird Gott erst mit solchen Worten in den Sinn kommen. Wenn sie arm sind, ihnen wirklich kalt ist oder der Darm gar nicht mehr will … dann denken sie plötzlich an Gott. Ja manchmal vermisst man ihn. Vielen muss es zuerst schlecht gehen. Ich denke, das ist auch nicht schlimm, sonst hätte Gott das ja anders lösen können. Ja und wer schwer erkrankt ist, der denkt auch nicht an die Barmherzigkeit, dass dies nicht hätte geschehen sollen. Es soll aufwärts gehen, zumindest nicht so schmerzhaft sein. Ja und irgendwann mal kommt was für alle kommen muss. Das Leben ist tödlich. Knallschwarzer Humor? Nein, Realität. Und so gesehen erstaunt es niemanden, wenn der Glaube an Gott geraubt wurde. Vielleicht ist es ja nur der ethische Zusammenhalt der Menschheit, der uns das Gefühl eines Gottes, einer gemeinsamen Kraft, vermittelt.

Den Beweis, dass es Gott gibt oder nicht gibt, den kann ich nicht erbringen. Wenn sie aber mal ganz oben angeklopft haben und dann doch wieder Werbung am Fernseher schauen dürfen, dann überlegen sie etwas unterschiedlicher. Nicht, dass jetzt der Kapselkaffe beim vierhändigen Spiel an einem Flügel vorgezogen würde. Wenn aber Petrus zu George Clooney spricht „It’s not your time“, dürfte es auch für den hart gesottenen Gottesverachter ein kaltes Schlottern ums Herz geben. Er wird unsicher. Gibt es wirklich keinen Gott? Und wenn doch, dann für alle den gleichen.

Und hier noch der Link zu unseren eigenen Preisträgern: 140-jährige Geschichte – Gratisdownload der Essays des prix libref. 2011 über das Thema «Kann das Recht Religion vor liberalem Horizont beschränken?»

Vor einem Jahr:
Bistum Chur ruft Vermittler aus dem Vatikan

Vor 2 Jahren erschienen:
Nationalforschungsprojekt – NFP 58

Vor 3 Jahren erschienen:
Calvin, Kapitalismus, Zins und Religion

Vor 4 Jahren erschienen:
Flugzeugentführer und Entführte – keine Spur von Hass

Vor 5 erschienen:
«Kein Gütesiegel für die Frommen»

Vor 6 Jahren erschienen:
Menschenrechtsrat beschlossen

© libref – Text: Stephan MartiFinanzblog

Dutzende tote Christen bei Anschlagsserie in Nigeria


Liberal heisst freiheitlich. Libref. ist zudem alles andere als konservativ. Wir versuchen mit der Zeit zu gehen, denn sonst gehen wir mit der Zeit. Heute lassen wir ein Mitglied, zudem gewählter Revisor, berichten: Grossrat, Doktor der Kommunikation und Muslim Dr. Yahya Hassan Bajwa …

… liberaler Muslim und er nimmt es uns nicht übel, wenn in unseren Statuten steht, dass Mitglieder die nicht der reformierten Landeskirche angehören, kein Stimmrecht haben. Ja, auf diese Statuten dürfen wir echt stolz sein. Aber er hat das Mitspracherecht und das Vorschlagsrecht. Und im Grossen Rat des Kantons Aargau kommt Morgen folgender Text zur Sprache:

Persönliche Erklärung

In den letzten Tagen machten die Massaker z. B. in Nigeria Schlagzeilen. Christen wurden getötet und Kirchen durch Bomben zerstört.

In den Medien wird immer wieder der Ruf laut: „Weshalb erheben Muslime in der Schweiz nicht ihre Stimme gegen die Massaker an Christen in islamischen Ländern?“ Diese Frage wurde mehrmals auch mir gestellt. Diese Stimme möchte ich hiermit erheben

Die Anschläge in Nigeria oder anderswo werden durch Verbrecher verübt, die dann auch noch behaupten, dass sie sich islamisch verhalten, was absolut verabscheuungswürdig ist. Verabscheuungswürdig ist es, andere Menschen zu töten. Verabscheuungswürdig ist es aber auch, wenn auf diese schamlose Art eine Religion missbraucht wird!

Für die Ahmadi Muslime, die seit 1946 in der Schweiz beheimatet sind und die Gewalt ablehnen, hat das Oberhaupt der weltweiten Gemeinde, Hazrat Mirza Masroor Ahmad, anlässlich der Jahresversammlung in Indien letzten Dezember zur grössten Anstrengung sprich: zum Jihad gegen den Extremismus aufgerufen!

Dies sei für jeden Ahmadi verpflichtend, da wir uns für das Wohl aller Menschen einsetzen.
Auf eine Ursache des Extremismus und des Terrors hinweisend sagte er weiter, dass Gier und Neid einzelner Menschen als auch ganzer Regierungen die Ursache für Ausbeutung von Schätzen anderer Nationen sind. Die Behauptung, um des Friedens willen und um Menschen vor Ungerechtigkeiten zu schützen, Kriege führen zu müssen, sind Täuschungsmanöver um für die eigenen Interessen agieren zu können. So entstehen als Reaktion auf solche Ungerechtigkeit immer mehr terroristische Gruppen.

Zum Schluss weist er mit Nachdruck darauf hin, dass Frieden und Gerechtigkeit nur mit friedlichen Mitteln erreicht werden: Respekt füreinander, Gebete und Taten gegenseitiger Hilfe.

In diesem Sinne möchte ich mich im Namen der Mehrheit der Muslime in der Schweiz, die Gewalt ablehnen und speziell als Sprecher der Schweizer Ahmadiyya Muslim Gemeinde, ganz klar von solchen Anschlägen distanzieren und verurteile diese schrecklichen Taten aus tiefstem Herzen.

Dr. Yahya Hassan Bajwa
Aargauer Grossrat, Grüne

Nachtrag: obiger Text ist die offizielle Rede von heute – er wurde leicht geändert.

Yahya ist bei libref. kein Unbekannter – merci für den Text. Er gefällt, wird die meisten Menschen betreffen. Setzen wir uns für, sagen wir rund 95% der Menschen ein, die keine Extremisten sind.

Hier noch der deutschsprachige Link zum Aufruf gegen den Extremismus. Und falls sie Dr. Bajwa persönlich kennen lernen wollen, gehen sie am 3. Februar ins Tibet Songtsen House in Zürich.

Zum Gratisdownload von ««Kann das Recht Religion vor liberalem Horizont beschränken?» – von Benedict Vischer, gekrönt mit dem prix libref. 2011

Vor einem Jahr:
prix libref. 2011 – Gewinnsumme CHF 5000.-

Vor 2 Jahren erschienen:
«Woher kommt der Hass auf den Westen? – Gret Haller und Jean Ziegler im Gespräch mit Norbert Bischofberger»

Vor 3 Jahren erschienen:
Laudatio anlässlich Verleihung des prix libref. an Gret Haller

Vor 4 Jahren erschienen:
Pakistan: «The world’s most dangerous place»

Vor 5 erschienen:
Informationen über die Sikhs

Vor 6 Jahren erschienen:
WEF – einige Ansichten, einige Einsichten

© libref – Zusammenstellung: Stephan MartiFinanzblog

Einladung zum Liberalismus


Am 18. September ab 10:00 Uhr treffen wir uns auf Schloss Reichenau

Schloss Reichenau Schweiz

weitere Details finden sie im Programm.

StatutenSpesenreglement

Liberal wie wir nun mal sind, kann sich jeder die Freiheit nehmen, teilzunehmen oder den Eidg. Buss- und Bettag anders zu verbringen. Alle seid ihr herzlich willkommen geheissen. Ob Mitglied, Gast, Interessent, Presse, nicht nur die Preisverteilung des prix libref. 2011 ist öffentlich. Kommt, hört zu, diskutiert mit und setzt euch für dauerhafte und Generationen übergreiffend Freiheit ein. Andreas sei Dank, zu deinem Programm gibt es eigentlich nichts mehr zu ergänzen. «Vorgekostet» hatten wir schon früher.

Und trotzdem möchte ich noch einige Zeilen anfügen. Wer nicht kommt hat vielleicht Zeit sich die Serie «Liberalismus» der Wirtschaftswoche zu Gemüte zu führen. Ob Kirche, Staat oder Wirtschaft, die Zeiten sind hart aber stehen im Grunde genommen gut für den Liberalismus. Die heutige Zeit hat den Liberalismus bitter nötig. Der allumgreifenden Maximierung ist Einhalt zu gebieten, wir müssen besser langfristig optimieren. Und eines muss der Liberalismus – sich aus seiner Passivität befreien um «die Denkfaulen, Antriebsarmen und Freiheitsmüden auf Kurs zu bringen».

«Serie Liberalismus

Woher er kommt: Die Idee der Freiheit – Teil I

Wo gibt es ihn? Von Schafen und Kälbern (Printausgabe) / Fandung nach liberalen Märkten – Teil II

Welche Feinde hat er? Die Feinde der Freiheit – Teil III

Wofür brauchen wir ihn? Der Sinn der Freiheit (Printausgbe) / Was Freiheit heute braucht – Teil IV«

gefunden in der Wirtschaftswoche (www.wiwo.de) Nr. 28 – 31 / 2011

Vor einem Jahr:
Fritz Buri – eine unbekannte bekannte Persönlichkeit

Vor 2 Jahren erschienen:
Die notwendige schöpferische Pause auch bei libref.

Vor 3 Jahren erschienen:
SEK – Dank für Gedankenaustausch – über den Gedankenaustausch mit Gottfried Locher wird in Reichenau informiert

Vor 4 Jahren erschienen:
Bivio-Vortrag Dr. Dr. h.c. Gret Haller

Vor 5 erschienen:
Dipl. Bibelerzählerin

Vor 6 Jahren erschienen:
Kirche und bundesgerichtliche Rechtssprechung

© libref – Text und Foto: Stephan MartiFinanzblog

Helfen Abkürzungen weiter


AGSNVAG – «Auch Götter sind nicht vor Abkürzungen gefeit». libref. liberal – reformiert. Das geht noch einigermassen. Dann kommt IARF – International Association for Religious Freedom

… ja eigentlich sollten das vor allem unsere Mitglieder oder solche lesen, mit denen wir zukünftig zusammen arbeiten können, allenfalls nur wollen. Über IARF gibt es auch in Wikipedia nicht viel zu erfahren, aber man kann zu ECOSOC anwählen und irgendwo da gibt es in einem Nebenapparat der UN 160 Dokument wo IARF erwähnt ist. Etwas unübersichtlich wo der Sitz unseres Bekannten Dr. John B. Taylor nun zu suchen und zu ersetzen ist. Dadalos macht dies eine Prise einfacher.

Ein Grundkurs in Menschenrechte wird hier angeboten

Und dann gibt es Yahya der aktuell über Religionsfreiheit schreibt:

«Es ist einfacher, in der Schweiz über Religionsfreiheit zu sprechen als in Pakistan. Es ist einfacher in der Schweiz, schwarz-weiss zu sehen und ein Problem zu reduzieren. Es ist einfacher, in sich das Gute und im Anderen das Böse zu erkennen. Es ist psychologisch verständlich, ein komplexes Problem zu vereinfachen – man muss sich die Mühe nehmen, um zu erkennen, dass es zwischen Schwarz und Weiss auch unzählige Grautöne gibt.

Meine Realität: Eines Tages kamen Christinnen in unser Menschenrechtsbüro in Pakistan und baten mich, auch in ihrer Gegend ein Frauenprojekt zu eröffnen. Ich reiste alleine mitten in das Taliban-Gebiet und baute dort eine Nähschule auf. Auch heute, wenn ich aus diesem Gebiet zurückkomme, danke ich zuerst Gott, dass ich lebe. Und man kann sich fragen: Was bewegt mich, in ein Gebiet zu gehen, in dem täglich Menschen umgebracht werden? Was bewegt mich als Muslim, mein Leben für Christinnen einzusetzen?

Meine Religionsfreiheit ist radikal! Sie gilt für alle!

Dr. Yahya Hassan Bajwa ist Dozent für interkulturelle Kommunikation und interreligiösen Dialog, Grossrat Aargau, Vorstand Grüne Schweiz. Berufung: Mädchenbildung und Frauenrechte in Pakistan.

Print Version«

Wo habe ich den Text «geklaut» – bei CSI. Und wo haben die das Bild gefunden – im Finanzblog und bei libref. bei «Am Rande von Menschenrechten und -pflichten«. Von klauen ist keine Rede, das Bild wurde gemailt. Aber wenn wir etwas Gutes tun, dann sollten wir verlinken, Netzwerke verknüpfen und nicht nur Bilder austauschen. Wie es weltweit mit der Religionsfreitheit aussieht, sehen sie bei CSI nach Gebieten geordnet – als Beispiel Asien West.

IARF ist zur Zeit nicht nur auf Vereinsebene von libref. umstritten. Wäre CSI eine Alternative. Könnte sogar eine Zusammenarbeit erreicht werden. Vielleicht stosse ich gar in ein Wespennest vor. Davor habe ich keine Angst. Es können auch Hornissen sein, habe echt schon Erfahrung.

hornissennest

Die Idee wäre es wert. Libref. hat an seiner nächsten Vorstandssitzung über die Neubesetzung des Sitzes von John im weitverzweigten UN-Weltall zu diskutieren. Yahya, du als NR-Kandidat könntest doch mal in Baden oder SR drei Leute abtasten lassen. Du, SMS und einen von CSI.

Yahya Hassan Bajwa

Es spielt keine Rolle, wenn sie als Leser bei diesen Zeilen manchmal den Zusammenhang nicht haben. Wer Ideen hat, mailt diese an «marti at martischweiz» oder im Kommentar. DOT ch nicht vergessen. Nicht umkehren und TOD schreiben. Yahya schreibt vielleicht mal, was er zu seinem T-Shirt auf dem Julier erzählt hat. Das ist spannend. Und wer Abkürzungen hasst, SR steht für Schmiedrued und SMS für Stephan Marti Schmiedrued, CSI für Christianl Solidarity International – nicht aber für

Canadian Solar Incorporation
Center for the Study of Intelligence des CIA
Concours de saut International
Crime Scene Investigation – mit Bild für den NR und NR-Kandidat (Nichtraucher/Nationalrat) und andere ausgestrahlte Bilder
– nebst vielen anderen Abkürzungen ist CRI auch das stahlende Caesiumiodid

… so jetzt netzwerked …

Vor einem Jahr:
«Woher kommt der Hass auf den Westen? – Gret Haller und Jean Ziegler im Gespräch mit Norbert Bischofberger»

Vor 2 Jahren erschienen:
Darwin – die Welt wird gedrittelt

Vor 3 Jahren erschienen:
Pakistn und Minarett

Vor 4 Jahren erschienen:
Gurdwarasahib

Vor 5 erschienen:
Marti an Marti – ein Dankeschön

© libref – Text und Foto: Stephan MartiFinanzblog

Zum Gedenken an Anne-Marie Bianchi-Segond

Unser Vorstandsmitglied Anne-Marie Bianchi-Segond, hoch betagt zwar, doch geistig
frisch geblieben, ist verstorben.

Anne-Marie Bianchi, welche mit dem früh verstorbenen Bündner Bildhauer Paolo verheiratet war, erinnert sich uns als überlegt leidenschaftliche Kämpferin für die Protestants libéraux (die liberalen Reformierten) in der Calvinstadt und unserem Vorstande.

Die Abdankung findet in der Kathedrale St. Pierre, in der Chapelle des Macchabés in Genf statt.

Wir werden der Verstorebnen an unserer Freitagssitzung ehrend gedenken.

In stillem Grusse,

Jean-Claude Cantieni und der Vorstand

Anne-Marie Bianchi-Segond und Bueste von Paolo Bianchi

Anne-Marie Bianchi-Segond vor einer Skulptur, die ihr Ehemann Paolo Bianchi geschaffen hat

Anne-Marie Bianchi-Segond

Paolo Bianchi

Werk von Paolo Bianchi – ursprünglich von Clarence Burkhard für die ehemalige Bank Langenthal, Filiale Oftringen in Auftrag gegeben

Pigeon von Paul Bianchi

Skulptur «Pigeon» in der Comanderkirche Chur (Bild zVg)

Vor einem Jahr:
Sendepause

Vor zwei Jahren erschienen:
SEK – Dank für Gedankenaustausch

Vor drei Jahren erschienen:
Kontext des Menschenrechts im öffentlichen Diskurs

Vor vier Jahren erschienen:
Erreichbarkeit jüngerer Menschen

Vor fünfJahren erschienen:
Zweite Kappeler Milchsuppe – Programm

© libref – Foto: Stephan MartiFinanzblog

Fritz Buri – eine unbekannte bekannte Persönlichkeit


Buris Keller-Buch lässt sich in einem Kurzvortrag nur unzulänglich würdigen. Dazu ist es zu subtil und zu reich an Details. Der Autor schöpft aus dem Ganzen seiner Kenntnisse des Kellerschen Werkes – er überblickt das gesamte erzählerische und lyrische Werk und untersucht es nach seinem christlichen Gehalt. Dies ist ein kühnes, ja ein paradoxes Projekt, gehört doch Gottfried Keller zu den großen Söhnen des 19. Jahrhunderts in Europa, die ihren Kinderglauben verloren und mit dem Atheismus vertraut waren. Viele Namen wären hier zu nennen: Ludwig Feuerbach, Bruno Bauer, Arthur Schopenhauer, Max Stirner und Friedrich Nietzsche, Charles Darwin und manche redliche Naturforscher vor und nach ihm, Pierre-Joseph Proudhon und Auguste Comte in Frankreich, Michael Bakunin aus Russland. Auch Keller gehört – insbesondere nach seiner Begegnung mit Ludwig Feuerbach in Heidelberg – zu den gottlosen Atheisten. Oder er wird jedenfalls in diesen Topf geworfen, trotz der Tatsache, dass Keller in seinem literarischen Werk nicht nur manchen Pfarrer, manchen frommen Eiferer und Sektierer, sondern auch die „Atheisten von Profession“ in ironischer Distanz porträtiert. Keller hat zwar ein gebrochenes Verhältnis zur christlichen und kirchlichen Tradition, aber er ist als Dichter und Denker mit der Religion und dem Christentum noch lange nicht fertig.
Das große Verdienst von Buri besteht darin, dass er Keller als Dichter und Denker der Religion ernst nimmt und darlegt, in welchem Masse es Keller um Darstellung der Erfolge und Misserfolge religiöser Persönlichkeitsentwicklung geht. Dabei ist oft Keller selber zu spüren, insbesondere in den autobiographischen Anklängen des Grünen Heinrichs. Der religiöse Glaube wird in seiner Vielfalt als projektive und kompensatorische Phantasie analysiert und entzaubert. Dabei stellt sich allerdings die Frage, was an die Stelle der kindlichen Phantasien und Versprechen treten könnte. Buri schreibt:
„In dem Masse als Keller sich selber findet, kann er auf die ‚luxuriösen Träume‘ seines Gottes- und Unsterblichkeitsglaubens verzichten und umgekehrt: in dem Masse als dieser Verzicht sich vollzieht, gewinnt er sein eigentliches Wesen. Der an sich und der Welt scheiternde Maler und Träumer flieht in die Traumwelt seines Bedürfnisglaubens – der Dichter und Staatsschreiber, der die ihm eigene Wesensform gefunden hat, rettet aus jenen Illusionen seine ‚Menschheit‘.“ (74)

Zahlen in Klammer ohne weitere Angaben beziehen sich immer auf Buri 1946 (siehe Bibliographie).

Damit gibt Buri bereits eine erste Zusammenfassung des Wandels und verweist auf den engen Zusammenhang zwischen Kellers Glaubensverlust und seiner Persönlichkeitsentwicklung. Er zitiert einige Passagen aus Feuerbachs Heidelberger Vorlesung Über das Wesen der Religion. Feuerbach schreibt:
„An die Stelle der Gottheit, in welcher sich nur die grundlosen luxuriösen Wünsche des Menschen erfüllen, haben wir daher die menschliche Gattung oder Natur, an die Stelle der Religion die Bildung, an die Stelle des Jenseits über unserem Grabe im Himmel das Jenseits über unserem Grabe auf Erden, die geschichtliche Zukunft, die Zukunft der Menschheit zu setzen. Das Christentum hat sich die Erfüllung der unerfüllbaren Wünsche des Menschen zum Ziel gesetzt, aber eben deswegen die erreichbaren Wünsche des Menschen außer Acht gelassen; es hat den Menschen durch die Verheißung des ewigen Lebens um das zeitliche Leben, durch das Vertrauen auf Gottes Hilfe um das Vertrauen zu seinen eigenen Kräften, durch den Glauben an ein besseres Leben im Himmel um den Glauben an ein besseres Leben auf Erden und das Bestreben, ein solches zu verwirklichen, gebracht.“ (76; Buri zitiert die Kröner-Ausgabe 335f. Dabei handelt es sich vielleicht um Feuerbach 1938 [siehe Bibliographie]. Der vollständige Text dieser Vorlesung findet sich in der ersten Gesamtausgabe Feuerbach 1851.)
„Allein der Atheismus, wenigstens der wahre, der nicht lichtscheue, ist zugleich Bejahung, der Atheismus verneint nur das vom Menschen abgezogene Wesen, welches eben Gott ist und heißt, um das wirkliche Wesen des Menschen an die Stelle desselben als das wahre zu setzen.“ (76; Kröner-Ausgabe 338)
„Allein die Verneinung des Jenseits hat die Bejahung des Diesseits zur Folge; die Aufhebung eines besseren Lebens im Himmel schließt die Forderung in sich: es soll, es muss besser werden auf der Erde; sie verwandelt die bessere Zukunft aus dem Gegenstand eines müßigen, tatlosen Glaubens in einen Gegenstand der Pflicht, der menschlichen Selbsttätigkeit.“ 76; Kröner-Ausgabe 339)
Kellers Wandlung wird von Buri sehr einfühlsam und mit zahlreichen Dokumenten aus Briefen, Prosa und Gedichten dokumentiert. (Vgl. 77-91) Keller hat unter anderem das Sprichwort „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott“ variiert. Mit diesem Sprichwort bleibt der Weg zu Gott offen, ohne dass Gott als Lückenbüßer-Gott oder als Objekt eines „Bedürfnisglaubens“ instrumentalisiert und degradiert wird.
Der Untertitel des Keller-Buches „Ein Bekenntnis zu seinem Protestantismus“ weckt den Verdacht, es handle sich in dieser knapp zweihundert Seiten umfassenden Studie um eine Form der apologetischen Einvernahmung, so wie sich mancher wohlmeinender Theologe um Nietzsche bemüht hat, um ihn doch noch als verirrten oder unglücklichen Christen zurückzugewinnen. Wer solche Vermutungen hat, wird bei der Lektüre des Buches eines besseren belehrt. Buri geht es nicht darum zu zeigen, dass Persönlichkeiten wie Keller, Spitteler und Nietzsche – trotz ihres offenen Konflikts mit dem Christentum – doch noch Christen oder sogar die besseren Christen waren. Eine solche Verdrehung und Vereinnahmung wäre nur dann wünschenswert, wenn man von einem engen Verständnis des Christentums ausginge. Viel wichtiger scheint mir zu sein, dass Buri viele Anhaltspunkte dafür liefert, dass man Keller nicht ein ernsthaftes Ringen und Bemühen um eine eigene religiöse Persönlichkeit absprechen darf.
Buri denkt in Begriffen, die er unter anderem in Albert Schweitzers Kulturphilosophie gefunden hat und die auch an eine ältere Tradition der natürlichen Theologie kritisch anknüpfen. Diese Tradition fasst er in der lateinischen Maxime zusammen, die lautet: „anima humana naturaliter christiana“ (197), was so viel besagt: „von Natur aus christliche Seele.“ Man beachte, dass das Latein keinen Artikel kennt, es bleibt deshalb offen, ob wir den Ausdruck mit dem unbestimmten oder bestimmten Artikel übersetzen. Eine vereinnahmende christliche Anthropologie würde behaupten: „Die [d.h. jede] Seele ist von Natur aus christlich.“ Diese Behauptung ist offensichtlich falsch, nicht nur, weil sie damit dem Christlichen jedes Profil raubt, sondern vielmehr darum, weil sie alle Menschen unter ein gleiches Schema stellt und damit der Offenheit und Plastizität der menschlichen Natur nicht Rechnung trägt. Eine nicht-vereinnahmende, dem offenen Verständnis des Christentums entsprechende Deutung des lateinischen Ausdrucks lautet: „Es gibt auch eine von Natur aus christliche Seele“ oder „Der Weg zu einem verantwortungsvollen, reifen Christentum ist ein offener Weg.“
Gegen diese Maxime könnte sich sogleich Widerspruch regen. Ist der Mensch nicht von Natur aus Heide? Wäre er von Natur aus Christ, so wären Bibel, Kirche und Christologie überflüssig. Darauf lautet die Antwort: Sie sind für viele Menschen tatsächlich überflüssig, ja sogar ein Hindernis und ein Skandal. Es gibt unzählige Menschen, die andere Lebenswege gehen, in anderen Kulturen aufgewachsen sind oder sich vom Gewohnheitschristentum distanziert haben. Von diesen Menschen werden die genannten Instanzen Bibel-Kirche-Christus als angstmachende oder alleinseligmachende Autoritäten offen abgelehnt. Diese Menschen sind im engen, kontroverstheologischen Sinne des Wortes keine Christen. Ein enges Verständnis der Kirche besagt, dass die Menschen die Kirche brauchen, ohne sie kein sinnerfülltes Leben führen können. Ein weites Verständnis der Kirche dagegen setzt voraus, dass die Kirche denkende und frei entscheidende Menschen braucht, um nicht zu stagnieren. Hier gilt die Maxime von Keller: Lieber keinen Glauben als Glaubenszwang. (Vgl. 55) Vorrang hat das selbst Erlebte, das von der Kirche sekundär in „Verwaltung“ genommen wird. (Vgl. 39) Was zählt, stammt aus lebendiger Wirklichkeitsreligion heraus. (Vgl. 43)
An Keller bewundert Buri dessen unbeirrbares Verfolgen seines eigenen Weges, der auch das Erkennen des Irrationalen und das Scheitern daran einschließt. (Vgl. 49f.) Das Ziel und Resultat von Kellers religiösem Reifungsprozess besteht in einer Haltung, welche alle Ehrfurchtslosigkeit und Intoleranz von Grund auf fremd und unmöglich ist. (Vgl. 125) Ehrfurcht und Toleranz sind also die beiden Kardinaltugenden, die Keller erlangt und vertritt. Keller gibt dafür ein interessantes Argument, nämlich jenes der Möglichkeit des religiösen Präferenzenwandels. Ist es sinnvoll, eine Sekte, eine Religion oder den Atheismus heftig anzugreifen, zu verfolgen und zu verdammen? Könnte es nicht sein, dass ich schon morgen oder übermorgen selber ins feindliche Lager gewechselt habe? Wer kann von sich aus den Wandel der Persönlichkeit und der religiösen Haltungen steuern, kontrollieren und auf die Länge gewaltsam unterdrücken? Ist der Hass auf die Andersgläubigen oder Ungläubigen nicht das Resultat verdrängter Konversionsängste? (Vgl. Wolf 2006) Buri zitiert jene Worte, die Keller im Grünen Heinrich dem Graf in den Mund legt und die lauten:
„Übrigens geht der Mensch in die Schule alle Tage, und keiner vermag mit Sicherheit vorauszusagen, was er am Abend seines Lebens glauben werde. Darum wollen wir die unbedingte Freiheit des Gewissens nach allen Seiten.“ (125)
Dies ist ein bedenkenswertes Argument für das liberale Recht der Glaubensfreiheit. Es trägt den Möglichkeiten und Wirklichkeiten des Wandels religiöser Präferenzen in der eigenen Person Rechnung.
Buri zeigt in seinem Keller-Buch, dass es viele Wege der Unheils- und Heilserfahrung gibt. Gottes Nähe oder vermeintliche Abwesenheit kann auf unterschiedliche Weisen erfahren werden. Im Grünen Heinrich zeigt Keller, wie Heinrich als Kind mit wechselnden kindlichen Gottesbildern aufwächst. Keller selber verliert den Kinderglauben; dieser Glaubensverlust ist aber nicht nur ein Verlust, sondern auch eine fortschreitende Läuterung und Verfeinerung des Gottesbildes sowie ein Gewinn und Zuwachs an Perspektiven, darunter auch einer pantheistischen Perspektive des Erlebens der Natur. Kellers Pantheismus verwischt jedoch nicht die Konturen der beiden Sphären von Gott und Welt. (Vgl. 106) Es ist nicht der Fall, dass Keller die Weltanschauung wechselt oder verschiedene doktrinale Phasen durchläuft, sondern es trifft vielmehr zu, dass sich seine Lebensanschauung erweitert und vertieft. Man könnte auch sagen, dass er als Künstler mit verschiedenen Modellen des perspektivischen Erlebens experimentiert.
Das Gegensatzpaar „Lebensanschauung“ und „Weltanschauung“ und der Primat des Erlebens vor der theoretischen Haltung (vgl. 161) spielen eine zentrale Rolle in Schweitzers Kulturphilosophie. Es geht um die lebenssinnpraktische oder existenzielle Dimension theoretischer Einstellungen, insbesondere ihre Eignung zur poetischen Auffassung der Wirklichkeit und der aus Ehrfurcht vor dem Leben entstehenden Kulturenergien.
Keller hat diesen existenziellen Sinn- und Erlebniswandel anlässlich des Feuerbach-Erlebnisses in Briefen an Wilhelm Baumgartner geschildert. Er schreibt:
„Das Merkwürdigste, was mir hier passiert ist, besteht darin, dass ich nun mit Feuerbach […] fast alle Abende zusammen bin, Bier trinke und auf seine Worte lausche. […] Nur so viel steht fest: Ich werde tabula rasa machen (oder es ist vielmehr schon geschehen) mit allen meinen bisherigen religiösen Vorstellungen, bis ich auf dem Feuerbachischen Niveau bin. […] Die Unsterblichkeit geht in Kauf. So schön und empfindungsreich der Gedanke ist – kehre die Hand auf die rechte Weise um, und das Gegenteil ist ebenso ergreifend und tief. Wenigstens für mich waren es feierliche und nachdenkliche Stunden, als ich anfing, mich an den Gedanken des wahrhaften Todes zu gewöhnen. Ich kann Dir versichern, dass man sich zusammennimmt und nicht eben ein schlechterer Mensch wird. […] (Gottfried Keller an Wilhelm Baumgarten, 28. Januar 1849)
„Die Welt ist mir unendlich schöner und tiefer geworden, das Leben ist wertvoller und intensiver, der Tod ernster und bedenklicher und fordert mich nun erst mit aller Macht auf, meine Aufgabe zu erfüllen und mein Bewusstsein zu reinigen und zu befriedigen, da ich keine Aussicht habe, das Versäumte in irgend einem Winkel der Welt nachzuholen.“ (Gottfried Keller an Wilhelm Baumgarten, 27. März 1851.
Im ersten Brief klingt das Motiv des tugendhaften Atheisten an, das in der Rezeption von Spinoza und der Ablehnung der frivolen und libertinistischen Varianten des französischen Atheismus eine Rolle spielt. Bereits Feuerbach hatte sich von solchen Varianten des Atheismus abgegrenzt. (Vgl. Feuerbach 1851, 397) Feuerbachs Atheist ist kein Immoralist, sondern ein Humanist.
In beiden Briefen am Baumgarten klingt auch das Motiv des mystischen Atheisten an. Kann auch ein Atheist ein sinnvolles oder sogar sinnerfülltes Leben führen, so wird die Funktion des Lückenbüßer-Gottes als letzter Sinnquelle durchschaut und in Frage gestellt. Der Atheismus wird zum reinigenden Durchgangsstadium, das nach vorne offen ist für neue Haltungen. (Diese Deutung des Atheismus findet sich auch bei Simone Weil.) Der Atheismus ist so betrachtet die äußerste Konsequenz der stets beweglich gehaltenen Gottesbilder, die Weigerung, sich auf ein einziges Gottesbild zu fixieren. Der mystische Atheismus schließt nicht aus, dass der Mensch, der mit dem Kinderglauben tabula rasa gemacht hat, neue und reife Formen der Religion findet, jenseits vom „Bedürfnisglauben“, der sich aus purer Lebensangst oder aus bloßem Konformismus an ein unbewegliches Gottesbild klammert.
Buri zitiert diese Briefe Kellers nicht ausführlich und geht relativ rasch über die Position von Feuerbach, die politische Bedeutung von Feuerbachs Atheismus und die Bedeutung des Feuerbach-Erlebnisses für die Entstehung des Grünen Heinrichs hinweg. Etwas andere Akzente setzt die neuere Forschung. So schreibt etwa Ursula Amrein: „Für die Entstehungsgeschichte des Grünen Heinrich ist das Feuerbach-Erlebnis von nicht zu unterschätzender Bedeutung.“ (Amrein 2009, 124) Es mag sein, dass man heute die Bedeutung von Feuerbach angemessener und distanzierter zu beurteilen vermag, nachdem die Monopolisierung des Feuerbachschen Atheismus als offizielle Staatsdoktrin des Marxismus-Leninismus zur Vergangenheit gehört. Buri teilt Kellers Abneigungen gegen doktrinären oder gar sektiererischen Atheismus. Der doktrinale Vulgär-Atheismus ist nichts anderes als eine Variante jener arroganten Haltung, die glaubt, mit der eigenen religiösen Entwicklung ein für alle Mal abgeschlossen zu haben. Es ist jene Haltung, mit der sich gewisse Menschen selber für geistig unendlich überlegen und aufgeklärt und ihre religiösen und kirchlich praktizierenden Mitmenschen für dumm und unbelehrbar, neurotisch oder völlig verrückt halten.
Buri zeigt die Tiefendimensionen des mystischen Atheismus/Pantheismus bei Gottfried Keller auf. Dieses de profundis erscheint unter anderem im Grünen Heinrich, als dieser am Sinn der Bittgebete nach dem Vorbild seiner Mutter zweifelt. Was ist von Gott zu halten, der meine Bitten nicht erhört? Das Motiv des sich „mäuschenstill“ verhaltenden Gottes taucht in Kellers Werk wiederholt auf. Dieses Motiv signalisiert „kein verzweifeltes Auslöschen des Gottesgedankens“, sondern vielmehr „seine letzte Vertiefung aus andächtigem Stillewerden vor dem unaufhebbaren Geheimnis der jedem menschlichen Zugriff entrückten göttlichen Tiefe des Seins“. (79)
Als erste Reaktionen der Konversion zu Feuerbachs Naturalismus gelten das Gedicht „Ich hab in kalten Wintertagen“ sowie das Kapitel „Der gefrorene Christ“ im Grünen Heinrich.
Kellers Gedicht lautet:

Ich hab in kalten Wintertagen,
In dunkler, hoffnungsarmer Zeit
Ganz aus dem Sinne dich geschlagen,
O Trugbild der Unsterblichkeit.

Nun, da der Sommer glüht und glänzet,
Nun seh ich, dass ich wohlgetan!
Aufs neu hab ich das Haupt bekränzet,
Im Grabe aber ruht der Wahn.

Ich fahre auf dem klaren Strome,
er rinnt mir kühlend durch die Hand,
Ich schau hinauf zum blauen Dome
Und such – kein bessres Vaterland.

Nun erst versteh ich, die da blühet,
O Lilie, deinen stillen Gruß;
Ich weiß, wie sehr das Herz auch glühet,
Dass ich wie du vergehen muss!

Seit mir gegrüßt, ihr holden Rosen,
In Eures Daseins flücht’gem Glück!
Ich wende mich vom Schrankenlosen
Zu eurer Anmut froh zurück!

Zu glühn, zu blühn und ganz zu leben,
Das lehret euer Duft und Schein,
Und willig dann sich hinzugeben
Dem ewigen Nimmerwiedersein!

(Keller 1849, vgl. http://www.ludwig-feuerbach.de/kahl_keller.htm)

Wie in Nietzsches bekanntem Gedicht „Vereinsamt“ wird der Glaubensverlust mit Winter und Heimatlosigkeit assoziiert. Bei Keller geht es explizit um den Verlust der Hoffnung auf ein individuelles Weiterleben nach dem Tode. Die Winterstarre ist vergleichbar mit den Krisenerfahrungen der Trockenheit und Wüste in manchen Lebensläufen von Heiligen und Mystikern.
Keller ließ sich vermutlich auch von Feuerbachs Argument gegen den sog. Heilsegoismus überzeugen. Wird die Liebe zu Gott von der Hoffnung auf ein gutes und schönes Leben im Jenseits motiviert, so handelt es sich bei diesem Glauben um einen Kuhhandel, nach der alte Maxime Do, ut des (Ich gebe, damit du gibst). Die Fragwürdigkeit eines solchen Heilsegoismus kann zu einer äußersten Verzichtleistung führen: dem Verzicht auf die Hoffnung auf ein (gutes) Leben im Jenseits. Wie Buri nachweist, gibt es auch in der Theologie ein Äquivalent des Verzichtes auf Heilsegoismus, d.h. die Hoffnung auf ein künftiges seliges Leben als „Belohnung“: resignatio voluntatis in omnisbus, resignatio ad infernum pro Dei voluntate. „Der menschliche Wille einigt sich darin völlig mit Gottes Willen, auch wenn dieser Wille für den Menschen die Hölle und den ewigen Tod bedeutet.“ (Buri 1947, 96) Wie Buri hinzufügt, wird diese Auffassung, die sich bei Luther findet, die bereits von Paulus angedeutet wird (vgl. Röm. 9, 3), von der spätmittelalterlichen Mystik, vor allem von Taulers Predigten und der Theologia teutsch inspiriert. Diese Quellen waren auch entscheidend für Schopenhauers Lehre der Verneinung des Willens zum Leben. Feuerbach, Keller und Schopenhauer konvergieren also in diesem Punkt der bewussten Ablehnung einer Hoffnung auf ein (seliges) individuelles Weiterleben nach dem Tode. Und sie tun dies nicht lediglich aus dem (wiederum egoistischen) Motiv, einer gerechten Strafe im Jenseits zu entgehen.
Gott wird nicht nur als anwesend in allen Dingen, sondern auch als Teil des Menschen selber erfahren. Dies wird im Kapitel „Sich und der Welt etwas Gutes zutrauen“ ausgeführt.
Buris Keller-Deutung führt zu einer ersten Leitfrage: Woher nehmen Menschen die Energie zum Guten, und warum reagieren sie nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen? Wir werden uns diese Fragen ebenfalls stellen: Warum führt auch gegenwärtig die fürchterliche Überschwemmung in Pakistan nicht bloß zu untätigem Kopfschütteln, sondern zu einer sich mehr und mehr verstärkenden Solidarität für die notleidenden Menschen? Warum lassen sich so viele Menschen von den Bildern des Elends völlig fremder Menschen in völlig fremden Kulturen berühren und zum Handeln bewegen? Albert Schweitzer hat dafür den Ausdruck „Kulturenergie“ verwendet. Kulturenergie schöpft sich aus der vertieften und denkenden Bejahung des Lebens. Es kann dem fühlenden und denkenden Leben nicht gleichgültig sein, was im Haus des Nachbarn, ja was im Haus der Welt geschieht. Augustinus schreibt: „In Adam haben damals alle gesündigt, da ja in seiner Natur infolge der ihr eingepflanzten Zeugungskraft bereits alle dieser Eine waren […] Alle sind dieser Eine Mensch gewesen.“ (Augustinus, De peccatorum meritis et remissione [Folgen und Vergebung der Sünden] III, 14, s. auch I, 11), zitiert nach Augustinus 1922, 175) Früher als Feuerbach hat Arthur Schopenhauer bereits 1818 diesen Gedanken ebenfalls in atheistischer und postchristlicher Distanz formuliert, dem Sinne nach: „Es ist der Eine Mensch, der leidet, wenn scheinbar viele leiden.“ Oder: „Der Täter ist zugleich Opfer.“ (Vgl. Schopenhauer WWV I, § 63 = ZA II, 436-444) Schopenhauer deutet das christliche Dogma der Einheit aller Menschen in Adam symbolisch bzw. allegorisch und im Horizont eines kühnen Vergleichs mit den indischen und buddhistischen Traditionen, und dies mehr als ein Jahrhundert vor Paul Tillich und Fritz Buri. Diese symbolische Auffassung der Einheit aller Menschen wird von Arthur Schopenhauer und Albert Schweitzer auf unterschiedliche Weise erweitert zur Auffassung der Einheit allen Lebens. Diesem Motiv der Aufhebung der Grenzen zwischen den Individuen entspricht der Vers von Carl Spitteler aus der Ballade Sterbefest, der lautet:
„Wir stammen allesamt aus einem Grund.“ (Zitiert nach Buri 1945, 262)
Die zweite Leitfrage des Keller-Buchs betrifft den Umgang mit Schuld. Buris Buch ist deshalb so lesenswert, weil es bis zum Schlusskapitel einen Spannungsbogen aufbaut. Die Spannung des Buchs flaut nicht ab, sondern nimmt stetig zu, und das Schlusskapitel mit dem Titel „Ich schulde, ich dulde“ führt zu einem dramaturgischen Höhepunkt. Die Erfahrungen von Schuld, die Reue, das Verzeihen, das Gelingen und Misslingen in diesem heikelsten aller psychologischen Probleme, betreffen alle Menschen. Der weite Begriff des Christentums besteht nicht im Angebot einer einfachen und mechanischen Lösung dieser Problem für die Masse der Ungebildeten und Unmündigen, sondern im offenen Weg, der den Menschen nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig verspricht. Es gibt eine desillusionierte Hoffnung, es gibt Auswege aus der Last durch die Schuld, doch es sind keine einfachen, automatischen und stereotype Auswege, die für alle gelten und wirken. Die Heilswege sind oft völlig überraschend und „unorthodox“. Das Beispiel, das ich hier erwähnen möchte, ist die Tatsache, dass der grüne Heinrich ausgerechnet bei seiner Geliebten Judith eine Hilfe findet für die Therapie seiner Sünden. Sie kann ihm zwar seine Schuld nicht abnehmen, aber sie hält trotz seiner Schuld an ihm fest. Buri bezeichnet diese Judith, die weltliche, sinnliche Frau, nicht die entrückte Schattengestalt der früh verstorbenen Anna, zweimal als Priesterin. „Das ist das natürliche Priestertum Judiths.“ (184) „Noch einmal hat Judith Priesterdienst an seiner Seele geübt.“ (186) Buri bringt dieses natürliche Priestertum auf den Punkt: Es gibt Beziehungen, die nicht zerbrechen, auch wenn sich eine Seite schuldig macht. Es gibt Jesus, welcher der Ehebrecherin ihre Sünde vergibt, und es gibt Judith, die ihren Geliebten trotz seiner Verfehlungen und berechtigten Schuldgefühle weiterhin liebt. In dieser Fähigkeit, den Sünder zu lieben (nicht die Sünde), sieht Buri die Quintessenz des „natürlichen Christentums“; es spricht eine Fähigkeit an, die manche bekennende Christen nicht haben und manche haben, die sich nicht als Christen deklarieren.
Was sucht Buri bei den Dichtern, was er nicht bei den Theologen findet? Es ist eine neu erlebte Form des Heils. Ich zitiere abschließend einen Abschnitt aus dem letzten Kapitel:
„Keller sieht also auch noch im Zerbrechen und Untergehen die Möglichkeit von Ganzwerden und Erfüllung […] Gerade auf diesem dunklen Hintergrund tragischen Geschehens leuchten jene glücklichen Wendungen, in denen reuigen Herzen ein neuer Tag anbricht, und sinnvolle Lebensgestaltung möglich wird, umso heller als ein besonderes Kund- und Wirksamwerden des schöpferischen Urgrundes. Wo sich solches Heil ereignet, da geschieht nichts Geringeres als das, was die Bibel als Offenbarung Gottes in Christus bezeichnet. Denn seinem ursprünglichen, wesentlichen Sinngehalt nach bedeutet der biblische Christusbegriff nichts anderes als Bezeichnung für ein besonderes, Heil schaffendes, schöpferisches Eingreifen Gottes in die Geschichte, das sich in dem davon ergriffenen Menschen in Busse und Freiwerden zur Liebe vollzieht. Von dieser wirklichen Heilsgeschichte weiß Keller mehr als viele große Theologen, die über die Menschwerdung Gottes in Christus und das Geheimnis der gottmenschlichen Person des Erlösers spekulieren. Im Grünen Heinrich wird das wirkliche Geheimnis dessen, was Erlösung in Christus bedeutet, deutlicher als in mancher sogenannten christologischen Dogmatik – obschon, oder vielleicht gerade weil Keller nicht in der Sprache Kanaans und der Kirche davon redet.“ (189f.)
Das Wesentliche von Buris schönem Keller-Buch sind nicht die gelegentlichen Seitenhiebe gegen die Berufskollegen. Diese Rivalitäten gehören der Vergangenheit an. Die wesentliche Botschaft ist vielmehr die biblisch begründete und aus reicher Lese- und Lebenserfahrung variierte These: Niemand ist befugt, anderen Menschen das Christliche, den wahren Glauben oder die echte Verbundenheit mit Gott abzusprechen. Die schmerzliche Grunderfahrung, die Albert Schweitzer am eigenen Leibe erfuhr, besteht darin, als Pfarrer von der eigenen Gemeinde ausgestoßen zu werden. Vielleicht hat auch Buri ähnliche Gerüchte vernommen von Leuten, welche ihm den wahren Glauben absprechen wollten und die hinten herum tuschelten:
„Dieser Buri ist gar kein richtiger Christ. Sonst würde er nicht Bücher über so gottlose Dichter wie Keller, Spitteler und Nietzsche verfassen.“
Als wäre es die Hauptbeschäftigung eines Christen, zu kontrollieren, ob andere auch brave Christen sind. Unter solchen Gerüchten und Bannsprüchen hat Fritz Buri vermutlich am meisten gelitten. Das Anathema, der Fluch über die Heiden und Ungläubigen, ist der lange Schatten, den das Christentum seit Paulus bis heute wirft. Buri hat sich nach einem offenen Christentum gesehnt, und er hat Elemente davon bei Gottfried Keller gefunden.

Nachbemerkung

Die kurze Darstellung erlaubt es nicht, weitergehende kritische Fragen zu formulieren, welche das Buch von Buri aufwirft, aber vielleicht nicht löst. Manche Fragen wurden bewusst ausgeklammert. Sie sind nicht unbedingt als Einwände gedacht, sondern als Anregung zu einer vertieften Beschäftigung mit der Philosophie und Theologie Buris. Ich möchte einige dieser Fragen im Geiste von „study-questions“ festhalten:
1) Bedeutet Buris Gang zu den Dichtern wirklich eine Erholung von der Kontroverstheologie, oder verstrickt er sich damit noch tiefer in die Rivalitäten der zeitgenössischen Theologie?
2) Ist „christlich“ bei Buri ein graduierbarer Begriff? Kann jemand „mehr“ oder „weniger“ christlich sein? Gibt es keine klare Grenzlinie, sondern eine (breite) Grauzone im Übergang vom Christlichen zum Nicht-Christlichen? Wird Gottfried Keller irgendwo in dieser Grauzone angesiedelt?
3) Ist der Übergang zwischen der christlichen Gottesvorstellung und dem Pantheismus fließend?
4) Führt ein offenes Verständnis des Christentums in die Isolation privater Religiosität? Welche Formen von Gemeinschaft (Kirche, patriotische Feste) sind damit vereinbar?
5) Es gibt „die in und mit dem völligen Offenbarwerden der Schuld und ihrer ungeteilten Übernahme sich vollziehende erlösende Wendung“ (180). Buri scheint hier Kellers Auffassung zustimmend zu referieren. Kann echte Reue allein schon Schuld tilgen? Gibt es eine „Selbsterlösung durch Bekenntnis und Reue“? Braucht es dazu nicht die Mitwirkung des Verzeihens (anderer Menschen oder Gottes)?
6) Buri behauptet, der Begriff der Schuld habe eine metaphysische Dimension. Er nennt sie auch „irrational“ und will damit sagen, dass sie sich einer vollständigen Erkenntnis entzieht. Schuld bleibt also, wie das Leben, wie Gott selber, ein Mysterium. Dies ist ein „negatives Dogma“, ein Bekenntnis zu einem gewissen Agnostizismus. Doch ist der Agnostizismus in Bezug auf Schuld plausibel? Wo liegt das Irrationale oder Unerkennbare der Schuld? Läuft hier Buri nicht Gefahr, selber ein unverständliches „Sünden“-Dogma aufzubauen? Steht er nicht einer nüchternen Differenzierung verschiedener Begriffe von Schuld – individuelle, kollektive, Schuld durch Unterlassung etc. – im Weg? Bleiben große und kleine Schuld in diesem Begriff einer irrationalen Schuld noch unterscheidbar?
7) Lassen sich „neurotische“ oder „krankhafte“ Schuldgefühle von echten und begründeten Schuldgefühlen deutlich unterscheiden, oder verschwimmt dieser Unterschied in der von Buri bevorzugten Auffassung unerklärlicher oder irrationaler Schuld?
8) Werden die Begriffe „Schuld“ und „Verantwortung“ nicht bedeutungslos, wenn man wie Albert Schweitzer und Fritz Buri (und der junge Sartre) von einer „grenzenlosen Verantwortung“ spricht? Ist „grenzenlose“ Verantwortung nicht „unpräzise“ Verantwortung? Führt die Annahme grenzenloser Verantwortung nicht – ähnlich wie das Gebot der Vollkommenheit – zu einer permanenten Überforderung der Menschen? (Vgl. Wolf 1997)
9) Sind die Bücher über Keller und Spitteler eskapistische Formen des Ausweichens in die politische Sonderstellung einer insularen Schweiz als Kulturnation? Warum findet sich im Buch über Keller kein Exkurs über Feuerbachs Verstrickungen in die Auseinandersetzungen des politischen Vormärz und dessen eminent politische (und nicht nur theologische) Religionskritik, welche sich explizit gegen die Reaktion in Deutschland und das Bündnis von Kirche und Krone richtet?
10) Warum findet sich im Keller-Buch keine explizite Abgrenzung vom Nationalsozialismus? Findet man bei Keller nicht genug Ansätze zu einem republikanischen Patriotismus und scharfe Abgrenzungen von deutschnationalen Attacken auf die Integrität der Schweiz als Nation im 19. Jahrhundert, die man im Blick auf eine Zeitkritik hätte aktualisieren können, wie das Jonas Fränkel im Jahr 1936 in öffentlichen Vorträgen in Bern getan hat? (Vgl. Fränkel 1939)
11) Inwiefern ist das Buch implizit der Ideologie einer „sittlichen Erneuerung“ und „geistigen Landesverteidigung“ verpflichtet? Soll es dazu dienen, die Schweizer an nationale Identifikationsfiguren zu erinnern?
12) Woher kennt Buri „den ursprünglichen, wesentlichen Sinngehalt“ des biblischen Christusbegriffes? Projiziert er nicht seinen modernen ethizistischen Begriff auf den biblischen Text zurück?
13) Die theologische Lesart Kellers ist vielleicht möglich, doch ist sie auch zwingend? Leistet sie etwas zum Verständnis Kellers, was eine rein literaturwissenschaftliche Lesart nicht zu leisten vermag? Oder wird Keller für Fritz Buri zum Anlass, eigene theologische Anliegen zu formulieren? Sollte das Buch als Beitrag zur Keller-Forschung neu aufgelegt werden?
14) Buri kritisiert zwar die „Abwehr Feuerbachs in der neueren Philosophie und Theologie“ (148), geht aber nicht auf Feuerbachs Entwicklung und die Bedeutung seines Hauptwerks Das Wesen des Christentums ein. Warum wird die Entwicklung Feuerbachs nicht behandelt?
15) Werden das Feuerbach-Erlebnis und seine Darstellung in den Briefen der Heidelberger Zeit nicht zu sehr marginalisiert? Warum wird Feuerbachs Religionskritik nicht anhand verschiedener Feuerbach-Texte sorgfältiger behandelt und der Wille Kellers, mit seinen bisherigen religiösen Vorstellungen tabula rasa zu machen, nicht stärker akzentuiert? Steht Buri vielleicht bereits unter dem Bann des Kalten Krieges und einer – teilweise berechtigten – Zurückweisung der Auffassung von Feuerbach als Pionier einer marxistisch-leninistischen doktrinären und militanten Variante des Atheismus?
16) Inwiefern gelingt es Buri zu zeigen, dass Keller die problematische Kehrseite von Feuerbachs Atheismus, die „Apotheose des Menschen“ (Karl Barth), durch seine realistische Kunst der Desillusionierung erkennt und vermeidet?
17) Was hat Keller der Kritik am naiven Fortschrittsdenken des 19. Jahrhunderts (vgl. 131f. 138, 160, 162) positiv und politisch entgegenzusetzen? Welcher Begriff von Fortschritt ist nicht naiv und lässt sich ein brauchbarer Begriff davon bei Keller rekonstruieren? Wird der politische Keller von Buri nicht zu sehr vom religiösen Keller verdrängt? (Vgl. Fränkel 1939)
18) Buri schreibt: „Sein Pfaffenhass und seine Kirchenfeindschaft sind […] letztlich nicht politisch, sondern religiös begründet.“ (54) Ist Keller nicht stärker von den Auseinandersetzungen des politischen Vormärzes in Deutschland und seiner Ausläufer in der Schweiz geprägt und getroffen, als es Buri zugibt?

Literatur

Zur Biographie von Fritz Buri vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Buri
Amrein, Ursula (2009): Atheismus – Anthropologie – Ästhetik. Der ‚Tod Gottes‘ und Transformationen des Religiösen. In: Der Grüne Heinrich. Gottfried Kellers Lebensbuch – neu gelesen. Hrsg. Von Wolfram Groddeck, Zürich: Chronos Verlag.
Augustin (1922): Reflexionen und Maximen. Aus seinen Werken gesammelt und übersetzt von Adolf von Harnack, Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck).
Buri, Fritz (1944): Gottfried Kellers Glaube. Ein Bekenntnis zu seinem Protestantismus, Bern: Verlag Paul Haupt. [Auf der Vorderseite des Umschlags steht: „Als ‚geborener Protestant‘ sah Keller in der Reformation vorab eine Gelegenheit zur Befreiung von Dogmenzwang und zur Gewinnung einer natürlichen Menschheit. Die Reformation geht weiter, das ist seine Überzeugung, oder es handelt sich bei diesem Ereignis überhaupt nicht um eine wirkliche Erneuerung des Christentums.“]
Buri, Fritz (1945): Prometheus und Christus. Größe und Grenzen von Carl Spittelers religiöser Weltanschauung, Bern: Verlag A. Francke.
Buri, Fritz (1947): Kreuz und Ring. Die Kreuzestheologie des jungen Luther und die Lehre von der ewigen Wiederkunft in Nietzsches „Zarathustra“, Bern: Verlag Paul Haupt.
Corti, Walter Robert (2002/1965): Die Mythopoese des werdenden Gottes, in: Der Mensch im Werden Gottes, Bern, Stuttgart, Wien: Verlag Paul Haupt 2002.
Feuerbach, Ludwig (1851): Vorlesungen über das Wesen der Religion. Nebst Zusätzen und Anmerkungen, Leipzig: Verlag von Otto Wigand [= Ludwig Feuerbachs sämtliche Werke, achter Band].
Feuerbach, Ludwig (1938): Das Wesen der Religion, hrsg. und eingeleitet von Albin Esser, 3. Auflage, Stuttgart: A. Kröner Verlag.
Fränkel, Jonas (1939): Gottfried Kellers politische Sendung, Zürich: Verlag Oprecht.
Leese, Kurt (1927): Von Jakob Böhme zu Schelling. Zur Metaphysik des Gottesproblems, Erfurt: Verlag Kurt Stenger.
Leese, Kurt (1954): Recht und Grenzen der natürlichen Religion. Band VI der Sammlung „Erkenntnis und Leben“, herausgegeben von Walter Robert Corti, Zürich: Morgarten Verlag. [Leese zitiert aus Buris Keller-Buch auf Seite 249]
Schopenhauer, Arthur (1977/1819): Die Welt als Wille und Vorstellung [WWV], Band 1, Zürich: Diogenes [Zürcher Ausgabe, ZA].
Schweitzer, Albert (1974): Kulturphilosophie I und II, in: Gesammelte Werke, Band II. Hg. von Rudolf Grabs, Rudolf, München.
Werner, Martin (2002): Die Lehre vom werdenden Gott, wieder abgedruckt in Corti 2002, 135-147.
Wolf, Jean-Claude (1997): Albert Schweitzers weiter Begriff von Ethik, in: Zwischen Denken und Mystik. Beiträge zur Albert Schweitzer Forschung 5. Hrsg. von Wolfgang E. Müller, Bodenheim: Philo, S. 224-242.
Wolf, Jean-Claude (2006): Balthasar und Nietzsche. In: Letzte Haltungen. Hans Urs von Balthasars „Apokalypse der deutschen Seele“ – neu gelesen. Hrsg. Von Barbar Hallensleben und Guido Vergauwen (Studia Oecumenica Friburgensia 48), Fribourg: Academic Press, 179-213.

Zum Verfasser
Jean-Claude Wolf ist Ordinarius für Ethik und politische Philosophie an der Universität Fribourg in der Schweiz.

Die Buri-Gesellschaft ist wieder aufgelebt. Wer Interesse hat, meldet sich direkt bei Esther R. Suter.

An der Tagung ist auch die Bemerkung gefallen, dass das Motto von Fritz Buri «Gott mit uns» sei. «Gott mit uns» hat man in der Geschichte auch schon gelesen und viellleicht wäre dies eine Themenidee zum prix libref. oder einmal einen Vortrag wert … anfragen könnte man vom engeren Vorstand vielleicht Andreas … das nur so als Tipp für unseren Präsidenten.

Vor einem Jahr:
Sendepause

Vor zwei Jahren erschienen:
SEK – Dank für Gedankenaustausch

Vor drei Jahren erschienen:
Das Huhn oder das Ei bzw. die öffentliche Ordnung & Religion: Was war zuerst?>

Vor vier Jahren erschienen:
Dipl. Bibelerzählerin

Vor fünf Jahren erschienen:
Kirche und bundesgerichtliche Rechtssprechung

© libref – Text und Foto: Stephan MartiFinanzblog

Vereinigung Freier Protestanten Chur


Kleine Geschichte der Vereinigung Freier Protestanten Chur
ab Gründungsjahr 1906 in St. Matin

eine Utopie, auf welche Säkularität folgte

Inhalt

I. Vereinsportrait,
II. Reformkreise, Schweizer Reformtage, in Chur 1906
III. Quellen,
IV. Archiv & Archivplan der Gruppe freier Protestanten Chur, Regesten

I. Portrait des freien Christentums Chur in liberalem Umfeld

Die ‚Gruppe freier Protestanten, Chur und Umgebung’, Sektion des Schweizerischen Vereins für freies Christentums, ist ein Verein. Sie ist Produkt des freieren Gesellschaftswesens, das sich – auch in der Stadt Chur – aus den engen Zunft-Zwängen herausgelöst hatte. Anfangs 19. Jahrhundert waren die Stadtpolitiker, selbst solche evangelischen Glaubens, noch im Domherrenkapitel vertreten. Die Staatskirche wandelte sich dann zur vom Staate gelösten Landeskirche, (freier Staat, freie Kirche), welche sich in den Territorialgemeinden als jeweilige Kirchgemeinden konstituierte.

In Chur entstand 1906 die liberale ‚Fraktion’ des freien Christentums der Evangelischen Kirchgemeinde Chur. Die Gruppe trat spät, 1959, dem Schweizerischen Dachverbande bei, der seinerseits Mitglied der IARF, der International association of religious freedom ist, und die in der Generalversammlung der UNO in New York mit beratender Stimme vertreten ist (ständiger Sitz bei der UNO in Genf). Die Gruppe freier Protestanten Chur hat somit einen ‚direkten Draht’ zum Weltparlament.

Chur beherbergte so auch schon Kongresse der IARF.

Religion wurde seither weithin Privatsache, doch damit fehlt einerseits der Religion des privaten Bekenntnisses die Relativierung, die sich in öffentlichen Debatten , Debatten öffentlichen Denkens einstellt., und die vor fundamentalistischen Holzwegen bewahrt, So kommt es anderseits dazu, dass der emphatisch vertretene Grundsatz von der weltanschaulichen Neutralität des Staates in eine Ratlosigkeit mündet, wie dieser mit Religion als einem bleibenden wichtigen Faktor des gesellschaftlichen Zusammenlebens umgehen soll, mahnt Reiner Anselm, in ‚Glaubenssache, Lenzburg, 2006.

II. Reformkreise – Reformtage freien Christentums

Der Reformtag von 1906 in Chur: Gründung der Gruppe freier Protestanten Chur

An der Gründungsversammlung des Schweizerischen Vereins für freies Christentum und in den nachfolgenden Jahresversammlungen nahmen auch regelmässig Delegierte von ausländischen verwandten Gruppierungen teil, was den jungen Verein reformistisch universalistisch in einer Kirche prägte, die einst beanspruchte, Kirche als das menschliche Mittel der Offenbarung in der Hand Gottes, als menschliche Gemeinschaft, in welcher dem Reden Gottes durch Menschen gedient wird und dieses Reden Gottes an Menschen Ereignis wird, zu sein.

1906 wurde die Churer Sektion an der Jahresversammlung eines solchen Reformtages in der St. Martinskirche gegründet.

Protokolle zur Gründung der Churer Vereinigung und ihrer Ziele sind leider verschollen, weshalb auf Programmpunkte des Dachverbandes zu seiner eignen Gründung um 1871 stellvertretend zurückzugreifen ist. Die Aufnahme der persönlichen Glaubensfreiheit in der Verfassung hatte gezeigt, dass liberal-reformatorisches Engagement bereits damals die Gesellschaftsordnung mitbestimmte. – Freies Christentum wandte sich so an diejenigen, welche den Dogmen entfremdet waren, doch ihre religiösen Bedürfnisse nicht verleugnen wollten, wie folgt;

– „Es ist nun die Aufgabe des freien Christentums (ehemals Reformverein), die Lämmer aus dem Schiffbruche der geoffenbarten Religion zu sammeln“.

– „Religion ist wieder zur Sache des Gewissens zu machen, weshalb auf die Verwirklichung einer in der menschlichen Natur begründeten, innerlichen Religion der Humanität und des allgemeinen Priestertums zu dringen ist“.

– Der Verein wollte zum Vornherein für alle offen sein: „Was gehen uns Namen an, die zu uns kommen, wenn unser Programm sie nicht abschreckt.“ – „Abgelebter Glaube ist weg zu glauben.“

– „Ziel ist, eine Kirche, die in Freiheit des Glaubens lebt, mit der Einheit des religiösen Volkslebens zu verbinden, der Macht der Geschichte, statt Personen zu vertrauen.“

– „Religion ist durchs Gewissen, keine Konfession definiert“.

– „Freies Christentum baut darauf, dass die Menschen für Wahrheit und Religion empfänglich sind“. – Anders ausgedrückt: Wenn Katholiken über die Kirche zu Gott finden, findet die reformierte Kirche über die Menschen zu Gott (Schleiermacher).

Sektion Chur unter Sektionen des liberalen Christentums in der Schweiz

Der Churer Verein ist Sektion des Dachverbandes, weshalb die Mitglieder der Vereinigung freier Protestanten Chur in der Mitgliederversammlung stimmberechtigt sind. Dies gilt auch für Einzelmitglieder ausserhalb der von Sektionen abgedeckten Regionen. Der freie Protestantismus ist damit ‚basis-demokratisch’, das heisst: er spiegelt direkte Demokratie als spezifisch schweizerische Mentalität.

Rund 10 Sektionen liberaler Christen in den Landschaften bis ins mehrheitlich katholische Tessin hinein pflegten einmal den Kontakt zueinander unter dem ‚Dach’ des schweizerischen Vereins. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat jedoch ein Erosionsprozess eingesetzt. Luzern und Basel lösten sich in letzter Zeit auf, so dass zur Jahrtausendschwelle die Frage gestellt wurde, ob der Dachverband nach 130 Jahren sich in die Zukunft fortsetzen soll? Die Mitgliederversammlung 2003 in Bern, an welcher die Churer Gruppe mit einer stattlichen Delegation sich beteiligte, engagierte sich jedoch für ein Fortleben des Verbandes.

Ein neuer Vorstand übernahm die Regie. Er deutete an, dass er die Frage des Verhältnisses Religion und Staat aufzugreifen gesonnen ist. Die Bundesverfassung reklamiert Gottes Stimme, um sich dem Lande zu verkünden; ‚Im Namen Gottes des Allmächtigen…’ Es folgen Freiheitskataloge darauf, auch die von Glaubens- und Gewissensfreiheit seit 1874, und doch zeugen Kataloge, Listen von einer gewissen Verlegenheit insoweit, als sie darauf verweisen, dass der Begriff, welche die aufgelisteten Dinge, Freiheiten als Ganzes umschreibt, erodierte. Die Freiheitlichkeit einer Verfassung ist ihr so nicht schon eingeschrieben, und das Freie Christentum fragt deshalb nach Möglichkeiten und Grenzen von einem liberalen Religionsverfassungsrecht in säkularer Zeit.

Einladungen an die Sektionen

Einladungen des Dachverbandes ergehen heute noch an rund 1000 Adressen in den Sektionen Langenthal, Bern, Genf/Waadt und Chur mit seinen rund hundert Vereins- Mitgliedern. Zur Zeit löst sich Zürich auf.

Theologisch liberale Presse

Theologisch-liberales Gedankengut strebt nach Öffentlichkeit, und so existerten im 20. Jahrhundert mannigfache Publikationsorgane Freien Christentums.

Die einstige Monatszeitschrift ,Das ‚Schweizerische Reformierte Volksblatt’ ging 2007 ein, nachdem keine neue Abonnenten mehr in die Reihen älterer nachwuchsen. Periodisch erscheint nun ein Blog unter dem entsprechenden Kürzel ‚libref’. Er wird von einem Vorstandsmitglied von libref. betrieben.’

Im‚Volksblatt’ fanden sich vielfach Artikel auch von liberalen Kirchenmitgliedern aus Chur; bspw. von Huldrych Blanke zu ‚Bernhard von Clairvaux und Zillis, in Nr. 2/1991, von Pfarrerin Ursi Tanner-Herter aus Furna: Volkskundliches zum Osterfest’ in der gleichen Nummer. Von der gleichen Autorin stammt in Nr.&1991 ein Artikel zu ‚Advents- & Weihnachtsbräuchen’., dann in 1/1992: Probleme beim Übersetzen aus dem Hebräischen’. Die Autorin wirbt hier für ein Erlernen auch von längst nicht mehr gesprochnen Sprachen. – Peter Kirchebner publizierte in Nr. 2/1992 aus seiner Spitalpfarrer-Praxis, die als Seelsorge dem ganzen Menschen gilt.

Auch das bündnerische Freie Christentum verlor seine Presse, den ‚Bündner Protestanten’. Er war erstmals 1948 erschienen, und die letzte Nummer stammt vom 1. Dezember 2002 (Nr. 6), d.h. nach 54 Jahren des Erscheinens. Letzte Redaktorin war Frau Pfr. Ursi Tanner-Hertner, Furna.

Zahlreiche Artikel daraus wurden auch im Schweizerischen Blatt, dem „Reformierten Volksblatt“ abgedruckt.
Bündnerische Präsidenten

In Pfarrer Peter Niederstein und der Verfasser stellte bzw. stellt Bünden einen Präsidenten des Schweizerischen Vereins, in dessen Vorstand viele bündnerische Liberale, zumeist Theologinnen und Theologen, mittaten. – Dr. Peter Dalbert, Chur, war Präsident einer liberal geprägten IARF.

Lang- Stiftung

Pfr. Fritz Peer aus Chur wirkt in der Lang-Stiftung mit, welche Theologiestudenten mit Beiträgen in ihrer Ausbildung zu einem möglichst liberal geprägten Berufsverständnisse eines Pfarrers führen soll.

Zwinglibund

Theologisch-liberales Gedankengut fand Aufnahme unter Jugendlichen lange in den Zwinglibünden auf schweizerischer Ebene und auch in Chur.

Gründung von Sektionen freien Christentums in Graubünden selbst

Der Anstoss, Sektionen freien Christentums in Graubünden zu gründen, ging vom Dachverbande aus. Der liberale Engadiner Pfarrherr L. Michel von Sils rief die Sektion St. Moritz (12. & 13. Juni 1871) ins Leben. 30 Mitglieder fanden sich im neuen Verein zusammen.

Heute existiert neben der Sektion Chur, der Gruppe freier Protestenten, Chur, noch die Arbeitsgemeinschaft freier Theologen’ (AFT), welche den Kanton anstelle der damaligen Kantonalsektion abdeckt.

Ein Vordenker des liberalen Christentums in Graubünden

war Johann Caspar von Orelli (1787-1849), der zwischen 1814-1819 an der Kantonsschule in Chur lehrte. Ausgebildet am Carolinum in Zürich, suchte von Orelli J.H. Pestalozzi auf, worauf er als Privatlehrer und Pfarrer nach Bergamo in die Lombardei ging. Von der damaligen kircheneignen Ausbildungsstätte der Pfarrer distanzierte er sich und besetzte als Kirchenreformer einen Lehrstuhl an der Universität. – Seine Schüler in seiner Churer Zeit scheinen ihn vergöttert zu haben.
Was prägte ihn als Person und mit ihm liberales Christentum? Orelli war Pragmatiker, Anwender, kein Erfinder. Er glaubte an eine beherrschende Kraft menschlicher Vernunft, und galt als einer der letzten Aufklärer. Er glaubte als solcher ans lebendige Gespräch mit dem Kulturerbe. Liberales Christentum sollte über die sich wandelnde Beziehung unserer Gesellschaft zu ihrer kulturellen und spirituellen Tradition nachdenken.

Neben von Orelli wirkten zwei weitere frühe Liberale in Chur ebenfalls an der Kantonsschule: die deutschen Emigranten Follen und Kaltschmidt. – Kaltschmidt, welcher einzelne Predigten in der Martinskirche hielt, wurde von der Politik ‚kaltgestellt’, weil er den Lehrbegriff der Kirche in Frage stellte. Follen war ein ganz und gar freier Geist (Hans Berger). Auch er wie von Orelli, ein Altphilologe. Sein Geschichtsunterricht an der Kantonsschule widersprach offenbar mit seiner ‚freisinnig religiösen Lehre’, der Lehre von der Menschheit Christi, der ‚herrschenden Lehre’. Ohne rechtliches Gehör erhalten zuhaben, wurde er entlassen. Die Synode konnte einer von ihm angeregten Disputation darüber ‚aus Zeitgründen’ nicht stattgeben. Die Geistlichen Bündens waren noch lange dem Autoritäts- & Buchstabenglauben der Helvetischen Konfession zugetan. Um die Mitte des 19. Jahrhundert siegte dann die liberale Majorität in der evangelischen Session im Grossen Rate bei der Aufhebung der theologischen Abteilung (an der Kantonsschule), an welcher die Bündner Theologen studieren konnten. Die Abteilung hätte, nach den Orthodoxen, weiter geführt werden sollen, damit Bündner Theologiestudenten an ausländischen Universitäten nicht ‚verdorben’ würden. Sie würden danach liberale ‚Strausssche’ Ideen vertreten wollen (gemäss David Friedrich Strauss: ‚Der alte und der neue Glaube, Leipzig 1872), d.h. der Evolutionslehre Darwins frönen.

Als Liberaler wirkte weiter damals an der Kantonsschule Otto (de) Carisch, 1789-1858. Er studierte Theologie in Berlin, wo er Schleiermacher hörte. Den Pfarrerberuf zu ergreifen, konnte er sich nicht entschliessen, sondern wurde 1819 Professor für Italienisch, Deutsch und Geschichte, weitestgehend von Pestalozzi beeinflusst. Am 22. Juni 1824 wurde er in Chur in die evangelisch-rätische Synode aufgenommen und erhielt damit die Berechtigung für die Ausübung eines Pfarramtes im Kanton Graubünden. Nach der Aufnahme in die Synode erteilte er an der Kantonsschule auch Religionsunterricht. Im Jahre 1852 begann er mit der Übersetzung des Neuen Testamentes ins rätoromanische Idiom des Bündner Oberlandes, das Surselvische. Carisch war einer der bedeutendsten evangelischen Pfarrer in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Graubünden. Neben seiner pädagogischen und theologischen Arbeit hat er auch als Philanthrop und Lexikograph besondere Bedeutung. Seine neutestamentliche Übersetzung in das Surselvische war zwar in kirchlichen Kreisen angefochten, doch für das 19. Jahrhundert ein Fortschritt gegenüber den stark konfessionell geprägten Übersetzungen des 17. Jahrhunderts.

Schleiermachers liberaler Einfluss wurde auch in Leonhard Herold (Pfarrer zu St. Martin 1859-1896) spürbar. Er war der Vater von Hermann Herold, welcher unter anderem den (finanziellen) Grundstein zum Kantonsspital setzte.
Die liberale Theologie fasste im Pfarrkollegium Fuss; was dazu führte, dass sich eine ‚positive’ Minderheit konstituierte, als die beiden liberalen Pfarrern Herold und Grubenmann Stadtpfarrer waren. Ab der zweiten Jahrhunderthälfte hatte die Liberale Theologie sich für rund ein Jahrhundert als Mehrheit etabliert, was so ganz selbstverständlich nicht war. Die ’soziale Frage’ stellte sich auch in Chur, nachdem das Industriezeitalter (Eisenbahn, Buschwerke, Autogewerbe etc.) mit den fremden Verbindungen rheinaufwärts hier angekommen war. Sie stellte sich auch deshalb, weil ‚man’ in evangelisch Chur leicht herablassend von den ‚Unterstädtern’ redete, wenn von der Minoritätsgemeinde der ‚Positiven’ die Rede war.

In Pfarrer Rudolf Grubenmann, (1872-1895) hatte die soziale und humane Not einen liberalen Anwalt des praktischen Christentums – in einer kirchenkritischen Stadt, wie Leonhard Ragaz schrieb, der als Liberaler in Chur gewählt worden war und es zugleich als seine Pflicht sah, ‚mit den emporstrebenden Klassen zu gehen’.
1913 wurde erstmals ein ‚positiver’ Pfarrer gewählt.

Das ‚Richtungswesen, das im Laufe der letzten hundert Jahre in Chur eine nicht geringe Bedeutung gehabt hat’, wie Pfarrer Hans Berger in ‚Evangelisch Chur – seine Prädikanten, Kirchen und Friedhöfe’, Chur 1978, schreibt, ist in letzter Zeit (um 1970 sc.) stark zurück gegangen. In der Folge verloren auch die ‚Fraktionen’ an Profil – und Mitgliedern.

III. Quellen, teils versiegt

Das Archiv des Schweizerischen Vereins, in dem Sektionsakten figurieren, gelangte geordnet ins Staatsarchiv des Kantons Bern, in Bern. Es weist beachtliche Vollständigkeit auf (Protokolle der Versammlungen, der Vorstandssitzungen, Tagungen, Druckschriften, Korrespondenzen…). Aus diesem Archiv fliessen fragmentarisch Quellen zur im übrigen verschollenen ersten Geschichte der ‚Gruppe freier Protestanten Chur’, deren dokumentierte Geschichte mit rund 1960 einsetzt, d.h. seit dem, dass die Sitzungen im Konferenzzimmer des Comander-Kirchgebäudes stattfinden, wo sich nun auch das Archiv befindet.

Streiflichter zur (dokumentierten) Geschichte ab Gründung 1906
(Extrakt aus dem Archiv des Dachverbandes, Bern)

1. Gründung der Churer Sektion anlässlich Reformtag des Schweizerischen Vereins vom 10. & 11. Juni 1906 mit Gottesdienst in St. Martin, Referaten im ‚Drei König’ und Bankett im ‚Steinbock’, Sonntagnachmittag Wanderung nach Passugg.

Die Bündner Presse hiess den Reformanlass willkommen. Graubünden sei seit 1526, als Bekenntnisfreiheit auf Verfassungsstufe (in den Ilanzer Artikeln und dem Bundesbrief) eingeführt worden sei und die Dörfer sich für den neuen
oder alten Glauben hätten entscheiden können, stets reformorientiert gewesen. Etliche ausländische Delegationen verliehen auch dem Reformtag in Chur, wie erwähnt, traditionsgemäss einen internationalen ‚Touch’ inmitten des Kirchenvolkes. Mehrere Rezensenten kommentierten den Verlauf dieses Reformtages dann in der Tagespresse. Kopien des ‚Freien Rätiers’ befinden sich im Archiv.

Auszug aus dem Freien Rätier vom 12. Juni 1906;

‚Zur 17. Jahresversammlung, d.h. zum 17. Reformtag, treffen morgen die Delegierten und andern Mitglieder dieses Vereins… in Chur ein. Aus allen Kantonen, die Sektionen des Dachverbandes kennen, werden Vertreter in Chur einrücken. Sie seien herzlich willkommen. (Folgt das Programm.)

Die Verfechter der freien Richtung in der Kirche, seien auf dem Boden alt fry Rätiens willkommen; Es ist hier guter, echter Boden für ein Reformfest… Hier hatte die religiöse Freiheit zuerst Wurzel geschlagen in der Welt (Ilanzer Artikel 1526)… Möge die kommende Tagung die schweizerische Reform kräftigen, den freien Geist in Rätien beleben.’
In den Ausgaben vom 12. 13 und 14. Juni rapportiert der Freie Rätier das Tagungsgeschehen der beiden Churer Reformtage schon jeweils auf den Titelseiten. ‚Neben den bündnerischen liberalen Pfarrern und den Sektionsvertretern in der Schweiz sind Delegierte aus dem Ausland; selbst von England her, nach Chur gereist. …Die Predigt gestaltete sich nach Markus XII, 30 über die Zeichen der Zeit. Ein neues Zeitalter breche an, predigte Pfr. E. Baudenbacher aus Bern. Da bedürfe die Welt ganzer Persönlichkeiten, die Irdisches und Himmlisches in grossen Gedanken zu verflechten vermöchten., Volks-, Vaterlands- und Gottesdienst seien einander anzuverwandeln.. Das Orgelspiel des blinden Karl Köhl unterstrich den Appell des Redners, sich für eine ‚grosse Zeit’ zu rüsten.

Der Präses des Dachverbandes, Pfr. A. Altherr, Basel, leitete anderntags den Reigen der Reden ein. Der Konflikt zwischen Glauben und Wissen bleibe niemandem zu keiner Zeit erspart. – Reverend Lummis aus England begrüsste die Versammlung für die Unitarier in England selbst und in seinen Kolonien. – Pfr. Wellauer, Appenzell, erläuterte die soziale Arbeit des Pfarrers. Nicht das Faustrecht der Kapitalisten dürfe obsiegen. Prof. Schmiedel, Zürich, widmete sich der Antwort auf die Frage nach dem historischen Jesus, seinem Selbstverständnis in der Abkehr vom mosaischen Gesetze, die er sich mühsam abgerungen habe, um zu einer endgültigen Sittlichkeit zu kommen…’

2. Der Start des liberalen Churer Vereins gelang: Mehrere hundert Mitglieder melden die Sektionsberichte aus Graubünden.

3. Sowohl die Vereinsengagements der Churer Gruppe wie der übrigen bündnerischen Gruppierungen freien Christentums fokussieren bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts auf Vorträgen, die vielfach gedoppelt sind: Ein wissenschaftlicher Vortrag eines Universitätsexponenten und ein Referat eines einheimischen Pfarrers. Albert Schweitzer, selber einmal Gast in Chur, ist wiederholt behandelt worden.

4. Weitere exemplarisch herausgegriffene Vortrags-Titel sind bzw. waren:

4.1 Lehre vom ewigen Leben in liberaler Dogmatik,
4.2 Zwinglis religiöse Grundpositionen nach seinen Hauptschriften
4.3 Pastor Friedrich von Bodelschwingh (seine Anstalten)
4.4 Blaise Pascal als Prototyp moderner Religiosität
4.5 Anklage gegen den Geist in der Philosophie von Ludwig Klages
4.6 Jenseitsvorstellungen in der Bibel
4.7 Friedrich Naumanns religiöse Gedankenwelt
4.8. Protestantismus im Ringen der Gegenwart
4.9 Kirche und Demokratie
4.10 Was uns die russische Gottlosenbewegung sagt
4.11 Christentum und Krise

5. Noch in der Zeit des Weltkrieges von 1939/45 hatte die liberale Theologie die Ideenhoheit , was ihr zugleich die Verantwortung für das Ganze abrang, sie jedoch zugleich zur Toleranz gegenüber Minderheiten ermächtigte.

6. Neben Vorträgen erscheinen ‚Abendfeiern’ und Familienabende, an welchen zuweilen auch Theater gespielt wird (Simon Gfellers; ‚Religiöser Schwarmgeist’, darin aufklärerisches Gedankengut und ländliche Bodenständigkeit einander anverwandeln). Das Leben sei in kein Referat zu packen, referiert der Chronist.
7. Beide Weltkriege sind als Appelle an die Solidarität mit den kriegführenden Völkern aufgefasst worden. Die Churer Gruppe sammelt Fr. 7600.— für kriegsversehrte Holländer nach 1945.
9. 1942 wird die Arbeitsgemeinschaft freier Theologie (AFT) erstmals aktenkundig, indem sie ‚Neu-Orthodoxie’ anficht. Neo-Orthodoxie stand ihnen für Rückkehr zu Dogmen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten noch nicht wenige Theologen eine Liberalisierung des Christentums erwartet. Damit einhergehen sollte ein neues Zeitalter der Toleranz, des Friedens und der Gerechtigkeit. Die Kirche selbst war in ihrer Erwartung der Dinge, die kommen sollten, gespalten. Konservative Leiter wurden durch die um sich greifende Säkularisierung alarmiert. Liberale Theologen erwarteten von ihrer Theologie dagegen universelle Liebe und Gerechtigkeit schon auf Erden.

IV. Das Archiv des Vereins ‚Freie Protestanten Chur’

Der Fortgang der Geschichte der liberalen Gruppe ist gediegen dokumentiert. In Bücher gebunden sind die Protokolle zu den sämtlichen Sitzungen mit den wichtigsten Sitzungsunterlagen. In Archivschachteln sind die Korrespondenzen chronologisch und nach Sachbereich eingereiht, desgleichen Drucksachen (u. a. Jahresgaben), die Korrespondenz mit dem Schweizerischen Verein für freies Christentum, gebundene Zeitschriften, lose ‚Der Bündner Protestant’, Mitgliederverzeichnisse.

Neben die ‚klassischen’ Vortragsabende ‚von damals’ treten gut dokumentierte diskurs-orientierte Referate, Korreferate zur Ökumene, tritt das protestantische Zeugnis des Dialogs, regelmässig auch mit den liberalen ‚Bündnerinnen und Bündnern für eine glaubwürdige (katholische) Kirche’.

Das Selbstverständnis des freien Christentums bedarf heute zusätzlicher Pflege, wie aus der Entwicklung der Churer Kirchgemeinde folgt. Die freien Protestanten haben wohl noch Sympathisanten im Pfarrkollegium, doch kein Mitglied mehr. Sie stellen zwar noch den Kirchgemeindepräsidenten, und doch ist der Einfluss auch im Kirchenparlament gering. Initiativen an Kirchgemeindeversammlungen dringen nicht mehr durch, so kürzlich die Forderung nach einer Geschäftsprüfungskommission, ebenso im Falle des erfolglosen Kampfes um den Erhalt des zweiten Kirchgemeindehauses an der Brandisstrasse (2008).

Bleibt zu hoffen, dass die ‚Marginalisierung’ der Vereinigung den Sinn für echte Fragen zur ‚Rechtgläubigkeit’ schärft, die Vereinigung das Salz , zumal das der Freiheit, das bekanntlich nie dumm wird, weiters in die Diskussion um Glaubensinhalte streut. Die Religionsgeschichte zeigt, dass befreiende Bestrebungen in der Kirche immer wieder von Minderheiten ausgegangen sind, zumal wenn die Gesellschaft so überregliert war wie dem heute neuerlich wieder so ist, sie als so komplex erscheint, dass vor lauter Tannen der Wald nicht mehr zu sehn ist.

Archivplan 2009

Signaturen

I. Vereinsgeschäfte

1. Protokolle der Versammlungen, Jahresberichte (1a), Vorstandsprotokolle (1b)
2. Jahresrechnungen
3. Statuten, Revisionen
4. Vorstösse Kirchgemeinde Chur, Wahlen & Abstimmungen
5. Korrespondenz
6. Teilnahme an verwandten Organisationen (libref.)
7. Mitgliederlisten, – werbung

II. Veranstaltungen

1. Referate, Anlässe
2. Austausch mit AFT, Theolib., IARF, ‚Gruppe Glaubwürdige Katholiken’ ,
3. Festspiel Comander
4. Varia

III. Druckschriften

1. Jahresgaben des Vereins
2. Monographien, Buchrezensionen
3. Periodika; Reformiertes Volksblatt (CH), Bündner Protestant, Kirchenbote
4. Kirchenblatt für die reformierte Schweiz (1894 bis ca. 1907)
5. Jahresbericht CH Verein für freies Christentum, Chronik Sektion Chur
6. Religion in der Presse (Leserbriefe etc.
7. Kirchgemeinde Chur (Infos)
…..

Ausschnitte aus den Protokollbüchern aus Vorstand und Mitgliederversammlung ab 1962

(Sign. I 1) zum Vereinsleben

1959 Hans Wegmann spricht über Jesus, der Genius von Nazareth’ . belobigt durch A. Schweitzer. Jeden 2. Montagabend im Comandersaal: Wir lesen und besprechen das Matthäus-Evangelium (mit Pfrn Berger und Färber). Prof. V. Maag : ‚Fragen der Bibelauslegung’ (vorgesehen), Pfr. K. Stokar: Die Frage der konfessionell gemischten Ehen.

1960 Pfr. Hans-Jürg Braun referiert zu ‚Religiöser Freisinn und Sekten’., Pfr. Walter Mühlemann zu ‚Nathan Söderblom, Wegbereiter der Einheit der Kirchen’.
1962 sind vier Vorträge angesagt: Dr. Binder, betreffs Urwaldspital des Referenten, Religionsgeschichtlicher Kurs über fremde Religionen, Vatikanisches Konzil, Albert Schweitzer-Abend mit dem Zwinglibund, Dr. Fritz Tanner: Generationenproblem. – Die Möglichkeit einer Veranstaltung zusammen mit der religiös-sozialen Gruppe will geprüft sein.

Dr. M. Linder referiert über ‚Biblische Wunderheilungen, Betrachtungen eines Arztes’.

1963 IX 28; Der Vorstand inszeniert und inseriert einen Vortragszyklus im Kirchgemeindehaus Brandis: An 12 Abenden referieren Germanisten und Pfarrherren über ‚Dichter und ihre Religion’; behandelt werden Paul Gerhardt, Andreas Gryphius, G.E. Lessing, J.W.v. Goethe, Jeremias Gotthelf, C. F. Meyer, Gottfried Keller, Theodor Storm, Wilhelm Raabe, Hermann Hesse, Rainer M. Rilke & J.. Heinrich Pestalozzi – Die einzelnen Vorträge wurden in der Tagespresse rezensiert.
Synchron wurden in einer Serie von Vorträgen ‚fremde Religionen’ portraitiert. Prof. V. Maag fragte nach dem Sinn religionsgeschichtlicher Erörterungen. Ein weiterer Vortrag galt den Religionen der so genannten primitiven Welt, welche der Missionsarbeit des Christentums sich entgegenstemmten. Mysterienreligionen und Hinduismus folgten. Pfr. Hs. Berger referierte an zwei Abenden zum Islam. Buddhismus und Judentum beendeten den Zyklus.

Der Verein ‚provoziert’ 1965 Kampfwahlen im Kirchgemeindevorstand, stellt die ‚Zauberformel’ in Frage, will Auswahl als Wahl.

1965 war durch Kirchenvorstandswahlen geprägt. Die einzelnen Gruppierungen, Vereinigung freier Protestanten, positiver Kirchgenossen, Unabhängige evangelische Kirchgenossen, und Religiössoziale Vereinigung prüften eine Kandidatur auf einer Einheitsliste, darauf freie Protestanten figurieren, welche dem Vereine bis zum Ableben ihre Treue bewiesen, so bspw. Nico Gantenbein und August Suter. – Die Liberalen sind in Minderheit versetzt, sie stellen deshalb einen Kampfkandidaten an einer ausserordentlichen Mitgliederversammlung auf; Auswahl statt Kampfwahl.

1966 Pfr. P. Kirchebner referiert zu einem neuen Buche von Bischof Robinson: „Gott ist tot.“ – Erörtert wird, ob Gruppenbildung noch zeitgemäss ist?. Die liberale Gruppe soll sich, so der Vorstand, als notwendiges Glied für eine freie Gestaltung in kirchlichen Angelegenheiten engagieren. Sie ist keine Partei. Der Verein war im Werben neuer Mitglieder erfolgreich.
.
1967 Prof. P. Dalbert referiert über Freies Christentum und religiöse Freiheit, Gedanken, die auf einer Reise durch Ungarn und Rumänien entstanden, die im ‚Kalten Krieg’ Drangsalen auch religiöser Art ausgesetzt waren. Der Abend schliesst mit einer Kollekte zugunsten ‚Hilfsfond des Weltbundes. – Pfr. Peter Niederstein referiert zu ‚Begegnung mit Paul Tillich’.

Der umstrittene Vereinsname neuerlich zur Diskussion. ‚Freie Protestanten’ assoziiert Sektierertum. (Wenn schon, sind Liberale Ketzer statt Sektierer.)

1968 gilt einem Bibelkurs , Beginn mit ‚Christus in Korinth’ – und bei uns?’ Fachleute, Ärzte, Juristen, auch Konfessionsfremde sind beizuziehn. – Die Gruppe widmet sich dem Film, zeigt Filme, die eingeführt werden, und über die nachher diskutiert wird. Was echt und wahr im Film ist, verdient Respekt auch, wenn es nicht einer christlichen ‚Leitkultur’ anhängt. Pfr. W. Bremi sagt einen Vortrag mit dem Titel ‚Mut zum Neuen’ zu. Ein Nachwort gilt Albert Schweitzer im Zeitgeiste des Jugendstils als Wille zum Leben.

Die 60 er Jahre sind von Reibungen bei Pfarrwahlen geprägt. Der Verein tut dar, liberale Pfarrer seien durch Aufgaben in der Kirchgemeinde mehr gefordert denn die Pfarrer der übrigen Gruppen, weshalb ein zusätzlicher sechster, gar ev. siebenter Pfarrer ein liberaler zu sein habe.

1969 Eine Kommission für kirchliche Angelegenheiten’ reklamiert Zentralisation in der Kirchenpolitik. Die Gruppe freier Protestanten wehrt sich: ihre Aufgabe sei auch, Aussenseitern der Kirche einen Weg zu religiösen Fragen zu öffnen. Vier Abende zu kirchengeschichtlichen und existentiellen Aussagen sollen dazu anhalten, sich persönlich mit Religion zu beschäftigen. – Die Jahresgabe stammt von Prof. Hermann Baur, Basel, und sie gilt Albert Schweitzer als Erzieher.
Die Revision der Kirchenverfassung wird diskutiert. – Die notwendigen Hilfskräfte für die Sonntagsschule fehlen, obwohl die Zahl der teilnehmenden Kinder rückläufig ist. Kirchenratspräsident A. Suter erörtert die Abgabe von Einzelkelchen beim Abendmahle.

1970 Vorbereitung der Tagung des ‚Exekutivkomités des Weltbundes für religiöse Freiheit’ in Chur (IARF). – Das Arbeitsteam ’Jesus im Verständnisse unserer Zeit’ kann 40 Anmeldungen verzeichnen. Prof. J. Sievi beginnt einen ökumenischen Kurs.

Statutenrevision ist im Gange, der Name des Vereins lautete nun: Vereinigung freier Protestanten’. Eigenständige Vortragsprogramme kollidieren mit Vorstellungen der ‚Abendfeierkommission’. Pfr. Berger initialisiert einen Zyklus zu ‚aufbauenden Ketzergestalten.

Pfr. P. Kircheber wünscht Stellungnahmen des Vereins zuhanden der freigesinnten Mitglieder im Kirchenvorstande. Er referiert zu ‚Die Minoritätenfrage als Weltproblem’.

1971 Der Verein freier Protestantismus Graubünden lädt zur Jahresversammlung nach Davos ein (Prof. B. Staehelin: ‚Gibt es eine angeborene religiöse Ethik im Menschen?’ – Der Verein pocht auf ein liberalen Pfarrer (für Pfr. J. Kessler).

1975 Der Verein organisiert die Delegiertenversammlung des Schweizerischen Vereins für freies Christentum in Chur. Programm: Predigt in St. Martin, Abgeordnetenversammlung in der Regulakirche, Vortrag Pfr. P. Niederstein: ‚Tragik und Verlust der Mitte’. Gedrucktes Programm – Jahresgabe ist Dr. Baur: ‚Krisenzeit und Jesusforschung’.

1977 Pfr. P. Kirchebner sitzt neu im Zentralvorstand Schweizerischer Verein ein.
Bildung von Quartiervereinen wird erörtert.

1979. Der Vortragszyklus heisst: Menschenbild, Menschenverständnis (Pfarrherren Kessler & Walser).. 2. Vortrag: PD Dr. J. Gartmann, Arosa: Das Menschenbild aus dem Erlebnisse des Arztes. Nomination von Fritz Peer für Pfarrwahl.
Die Kantonsbibliothek Chur verfügt über die gesammelten Jahresgaben des Vereins. (Es fehlen die Jahre 1969, 70 & 72.)
Pfr. Dr. P. Walser referiert zur Geschichte des ‚Antistitiums’.
1980 Vorstand beschliesst Bibelabende für den Winter.
Die Jahresrechnungen zeugen von strikter Ökonomie. Das Vermögen beträgt Fr. 2000.—bis in die 80 er Jahre, der Jahresbetrag Fr. 4.—bzw. 5.—. In der Folge polstern Legate die Finanzen.

Die Präsidentin, Frau M. Becker, setzt sich mit Anmassungen im Glauben auseinander. Die Welt ist zwar im Urteile Gottes eine ‚gute Sache’ geworden, doch vielleicht nicht fertig…
Die Vereinigung fragt sich selber, ob nach Innen zwischen positiv, liberal, religiös-sozial etc. noch aktuell zu unterscheiden ist (Kirchlein in der Kirche, gemäss Pfr. F. Peer)? Von der ‚Kommission für kirchliche Angelegenheiten’ der Kirchgemeinde wird die liberale Gruppe attackiert, doch so kommen Argumente zum Austragen. Der Verein verteidigt sein Engagement für ein weltoffnes Christentum und theologische Forschung

Der Mitgliederbestand (und die Zahlungsmoral der Mitglieder) bleibt hoch: Von einmal 377 Nachnahmen für den Vereinsbeitrag werden 371 eingelöst. Allerdings schwindet die Mitgliederzahl seit den 80 er Jahren chronisch.

1981 Der Vorstand erkürt (rund zehn) Kandidaten für die Pfarrwahl. Gewünscht ist ein guter Prediger. Erste Anfragen enden erfolglos.

Der Verein präsentiert eine lange Liste von Kandidaten zur Nachfolge von Pfr. Dr. Hans Berger. Die Auswahl an liberalen Pfarrkandidaten ist seither laufend dünner geworden. Keine amtierende Pfarrperson ist zur Zeit Mitglied der Gruppe, anders der Kirchgemeindepräsident.

1984 Der konservative Pfr. F. Aebi empfiehlt dem Verein sich aufzulösen. Vorschläge (bspw. zu Pfarrwahlen) würden dann aus den Quartierkommissionen kommen. Der Vorstand opponiert. Der Verein bietet Rückhalt und Geborgenheit (Fritz Peer). Predigten von Churer Pfarrern sollen unter dem Titel ‚Leben mit Ängsten’ zusammengefasst und als Jahresgabe verschickt werden. Die vier Gruppierungen der Kirchgemeinde stellen sich in der Presse vor.

1985 Der Verein favorisiert die Pfarrwahl von Hans Domenig, Davos.

1986 Jahresgabe besteht in je drei Predigten der Pfarrer Berger, Senn, Peer. Der Vorstand opponiert dem Ablegen von Bekenntnissen in Gottesdiensten, verlangt, dass Veranstaltungen von kirchlichen Gruppen nicht auf die Gottesdienstzeit festgesetzt werden und in den Kirchgemeindehäusern stattfinden sollen. Pfr. Dr. H. Berger referiert zu: ‚Anfang des Liberalismus in Graubünden’.

1987 Ein ‚Anbetungsgottesdienst’ in der Regulakirche wirft Fragen auf. Die Vereinigung portiert Reto Held als Präsidenten des Kirchenvorstandes.. Frau Pfr. U. Tanner referiert über Die Wahrheit biblischer Geschichten: Was ist wahr, in den unterschiedlichen Schöpfungsgeschichten?

1990 Die Vereinigung antwortet auf den Umbruch von 1989 in Osteuropa: Drei Vorträge behandeln Perestroika und Kirche, Siebenbürgen (Land, Leute und ihre Kirchen) und die Kirche in der DDR als Geburtshelferin der Demokratie. Die Vereinigung lanciert ein Beitrittsschreiben, das sich an ‚Sehr geehrte Nichtchristen’ richtet. Eingangszitat C.F. Meyer: ‚Was Gott ist, wird in Ewigkeit kein Mensch ergründen, doch will er treu sich allezeit mit uns verbünden.’

1991: Vorträge: Pfr. F. Peer: Wir haben populärer zu werden, Angebote zu entwickeln, welche die jüngere Generation anspricht. (Asylwesen, Sennhof. Neuer Anlauf für Mitgliederwerbung startet. – Drei Vorträge: Religion, Glaube & Hoffnung werden gehalten.

Neueste Zeit
summarisch

Einen Höhepunkt mit sehr gutem Publikumserfolg bildete die Aufführung eines durch Pfr. Fritz Peer, Vorstandsmitglied der Gruppe, verfassten multimedialen Theaters in der Martinskirche zum 50 jährigen Bestehen der Comanderkirche, 1958-2008, mit „Schauspielern“ der Gruppe. Inhalt des präsentierten Festspiels war das Leben und Wirken des Churer Reformators Johannes Comander in schwierigen von mehrfachen Pestzügen durchwirkten Zeiten.

Aus der aktuellen Zeit sind vor allem die dialogisch geführten Vortragsabende zusammen mit dem katholischen Partnerverein, den ‚Bündnerinnen und Bündner für eine glaubwürdige Kirche’ zu erwähnen. Stand der interreligiöse Dialog zuerst im Zentrum, präsentiert durch Vertreter der Glaubensrichtungen, folgt der Dialog zwischen den Disziplinen, zwischen Naturwissenschaft und Religion im Darwin-Jahre. Die Theologie hat inzwischen die Erkenntnisse der ‚exakten Wissenschaften’ sich zu integrieren gelernt. Vermenschlichungen von Gottesbildern wie Gott als Vater, Hirte, ja Richter, treten in zurück., sie sind für unsre Zeit nicht mehr erhellend genug.

Hans-Rudolf Stadelmann referiert November 2009 im ‚Comander’ vor vollem Saale u.a. zum ‚Doppelgebot der Liebe’ unter evolutionistischem Gedankenansatze. Es enthalte doch eine konkrete ethische Aufforderung, Gott in seinen Konkretionen, in seiner Schöpfung, zu leben, die Schöpfung zu bewahren und das Leben in all seinen Erscheinungsweisen, den Willen zum Leben darin, zu schützen.
Jesus, hob der Referent hervor, stellte die herrschenden Machtstrukturen auf den Kopf, indem er den Menschen bzw. die Person als verantwortungsbewusst und autonom denkend (ernst-)nimmt. Für den Naturwissenschaftler und Theologen Stadelmann ist schon seitdem keineswegs mehr möglich, Gott sich als ‚Weltenherrscher’ vorzustellen, der nach Belieben Naturgesetzte ausser Kraft setzen kann, zumal heute die Naturwissenschaft selber zwischen Zufall und Notwendigkeit Freiheit am ‚Schattenrande von Geschichte’ aufspürt.

Ein zeitloser, rein transzendenter Gott ist mit der Vorstellung von Kreativität, Evolution in der Natur, die sich erneuert, Neues gebiert, nicht mehr zusammen zu denken, was um so mehr für den Gott der Bibel gilt, der sich in ihr als Schöpfergott erinnert. IhreWelt ist geschaffen, sie entsprang keinem Gehirn eines mythologischen Gottes.

Volle Säkularität ist in der Natur eines Gottes, welcher in einem Stalle ‚auf die Welt kommt’ – angelegt.

Eine „kulturprotestantische Trouvaille“ im Archiv

Vertonte Gedichte von Pfr. Hans Fontana, erhalten durch das Ehepaar Christa & Gerhard Hermann, La Tour, Scharans, ehemals Fürstenau ‚Zollhaus’; als Gabe an den Verfasser
Besonderer Charme wird dem Archiv darin zuteil, dass es einen Gedichtband mit u.a. ‚Zehn Marienliedern’ des Mitgliedes der AFT, Pfarrer Hans Fontana selig, enthält, dazu eine Schallplatte mit ihren Vertonungen durch den Komponisten Friedrich Ruhrmann, gesungen von der Sopranistin Uta Jesse-Böhmke und am Flügel begleitet von Dieter Schellon. Die Zusammenarbeit entstand zu einer Zeit, als Hans Fontana in Fürstenau als Pfarrer wirkte.
Maria führt ‚der Sehnsucht Zauberfloss’, vielleicht in der Tradition des mittelalterlichen Minneliedes, welches die ‚hohe’ Frau verehrte.

Aus dem X. Lied zitiert;

‚Maria,
immer ist sie Weg und Fährte
immer nur als Angebind
und im Gleichnis letzter Werte
wird die Mutter uns zum Kind.’

Der Titel ‚Mariengesänge’ erklärt sich für einen liberalen reformierten Theologen in diesem Falle über die Biographie. Pfarrer Fontana wurde in Rona (1911) geboren, wuchs katholisch erzogen auf, durchlief die Jugend in einem Churer Kinderheim mit (s)einem sittlich-religiös rigiden Regime. Über Kantonsschule und Universitäten wurde er zum theologisch-liberalen Pfarrer.

Quellen

– Archiv der Gruppe freier Protestanen, Chur
– Archiv des Dachverbandes libref., Staatsarchiv Bern, Bern
– Presse (Umschlagsbild: Einladung zum Reformtag 1906 im ‚Freien Rätier’)

Anhang

Präsidenten
1906 ff. Dr. Valär, Redaktor
ca. 1930 Dr. Valär, Stadtarchivar
ca. 1950 Dr. Fritz Pieth

ca. 1960-1966 Dr. Max Linder
ca. 1966-1974 Frau Hedwig Becker
1974-1983 Reto Held
1983-1991 Frau R. Brini
ca.1994-2004 Pfr. Peter Kirchebner
2005 ff. Pfr. Dr.Hans Senn

Aktueller Vorstand
Vorsitz:
Dr. Hans Senn

Mitglieder
Linetta Schneller und Silvia Stucki, Richard Arioli, Walter Bolliger,
Jean-Claude A. Cantieni, Pfr. Fritz Peer,

Revisoren: Johannes Juon, Conradin Hail

Partnerschaften:

– AFT, Arbeitsgemeinschaft für Freie Theologie und
– Bündnerinnen und Bündner für eine glaubwürdige Kirche’ von der Katholischen Landeskirche

‚Liberal denken und glauben’

(aus Flyer der Vereinigung freier Protestanten)

Das beschäftigt uns: Die Aufgabe der Religion in einer multikulturellen und kirchenfernen Gesellschaft

Dafür setzen wir uns ein: Kirche sind wir, und ihre Krise motiviert uns deshalb, uns in ihr zu engagieren.

So verstehen wir uns: Wir wollen einen kritischen Glauben in Freiheit und Selbstverantwortung leben und üben Toleranz gegenüber Andersdenkenden.

Wer sich für die Vereinigung interessiert, ist gerne gehalten, sich für weiterführende Auskunft bzw. einen Beitritt an den

Präsidenten: Dr. theol. Hans Senn,
Nordstrasse 4
7000 Chur

zu wenden.

Chur, 2009/JCC

Vor einem Jahr erschienen:
Bericht aus Pakistan … was nicht in allen Medien steht

Vor zwei Jahren erschienen:
Bea-Fachseminar-Fussball-saemann

Vor drei Jahren erschienen:
Fast ein Minarett …

Vor vier Jahren erschienen:
sigs eso – Sikhs eso

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Nationalforschungsprojekt – NFP 58


Es werden im historischen Rückblick keine Namen oder Organisationen genannt, aber die Geschichte kommt uns bekannt vor …

«Religion als öffentliche Angelegenheit

Warum interessiert sich der Staat für Religion?

Dr. Werner Haug, Mitglied der Leitungsgruppe des NFP 58

… 1. die konsequente Durchsetzung der Glaubens- und Gewissensfreiheit im positiven wie im negativen Sinne;

2. die Sicherstellung der Menschen- und Grundrechte vor religiös begründeten Ein- und Übergriffen, unabhängig davon ob diese sich nun auf kanonisches Recht, auf Sektenregeln oder die Scharia berufen;

3. die Sicherstellung von Transparenz und der Konformität mit demokratischen Spielregeln, wenn es um die innere Verfassung von Kirchen und Religionsgemeinschaften geht, die staatliche Anerkennung einfordern …

… lesen sie mehr beim NFP 58 …«

mehr auf dem Internet-Auftritt des NFP 58

… für «eilige Leser» nur diese Zusammenfassung …

» … Die religiöse Landschaft der Schweiz ist in einem tiefgehenden Veränderungsprozess begriffen, der sich auf allen gesellschaftlichen Ebenen niederschlägt: Durch die Forderung von Migrantengruppen nach Partizipation am öffentlichen Leben wird die Gesellschaft herausgefordert, über ihre eigene religiös-kulturelle Identität und die nationalen Fundamente nachzudenken. Die neu entstandenen Religionsgemeinschaften verfügen noch nicht über die nötigen Institutionen (Gemeindestrukturen, Religionsgelehrte, Baulichkeiten, Erziehungseinrichtungen), um ihr religiöses Leben dauerhaft zu gestalten, ihren Angehörigen den nötigen Rückhalt zu gewähren, sich verlässlich in der Schweiz zu integrieren und der Gefahr der Instrumentalisierung durch radikale Strömungen gewachsen zu sein. Die christlichen Kirchen sind zum Dialog mit einer weithin religionsentfremdeten Gesellschaft gefordert, zugleich aber auch zum Dialog mit anderen Religionsgemeinschaften, die ihr Selbstverständnis moderner christlicher Identität nicht teilen. Die einzelnen Menschen sind gezwungen, sich selbstverantwortlich mit der Religionsthematik zu beschäftigen. Angesichts der religiösen Pluralisierung steht der Staat vor der Aufgabe, sein Verhältnis zu den in der Schweiz wirkenden Religionsgemeinschaften zu überprüfen. Er muss sich fragen, ob und wie er mit seinem Religionsrecht auf die neu entstandene multireligiöse und multikulturelle Lage reagieren soll. Muss der Staat angesichts der aktuellen und zu erwartenden Herausforderungen stärker als bisher in Fragen der Religion aktiv werden? …»

Vor einem Jahr erschienen:
Kurs für muslimische Kaderleute statt für Jugendliche

Vor zwei Jahren erschienen:
Flugzeugentführer und Entführte – keine Spur von Hass

Vor drei Jahren erschienen:
Human Right Conference

Vor vier Jahren erschienen:
Menschenrechtsrat beschlossen

© libref – Text: Stephan MartiFinanzblog