Liberale Theologie heute


Der «Prix libref» nähert sich einem zweiten Meilenstein – die Ausschreibung für eine theologische Arbeit nähert sich mit Riesenschritten. Weitere Informationen folgen im Blog bei libref. oder bei theologischen Fakultäten der Schweiz. Prof. Dr. Reiner Anselm befasst sich mit dem Gedankengut.

Liberale Theologie heute

Gibt es ein Bündnis des Christentums mit der modernen Welt, oder bedeutet der Auf-bruch aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit unweigerlich auch das Ende der christ-lichen Religion? Diese Frage steht am Anfang der liberalen Theologie und auch des libe-ralen Protestantismus, und die Vordenker des theologischen Liberalismus zögerten nicht, entschieden nicht nur die Vereinbarkeit, sondern auch das Bündnis von protestantischem (reformiertem*) Christentum und Moderne zu betonen: Beide nämlich rückten, so die Überzeugung, den einzelnen Menschen, das Individuum in den Mittelpunkt. Der beson-dere Respekt vor dem Einzelnen, seiner Freiheit und seinen unveräußerlichen Rechten und seiner Fähigkeit führte die liberalen Theologen dazu, sich aller Bevormundung und Unterdrückung des Einzelnen, sei es durch Staat oder Kirche, entgegenzustellen. Indem sie jeden Einzelnen als gleichberechtigtes Geschöpf Gottes ansahen, distanzierten sie sich zugleich von Vorstellungen, die vorrangig auf die Durchsetzung der eigenen Interes-sen setzten.

Die Vordenker des liberalen Protestantismus waren dabei aber durchaus Realisten. Sie waren davon überzeugt, dass es sich bei den Ideen von Freiheit, Gleichheit und Solidari-tät keineswegs um Selbstverständlichkeiten handelt, die sich dem Verständigen schon von selbst darstellen. Sondern sie legten das Augenmerk darauf, dass es einer bestimm-ten Wirklichkeitssicht bedürfe, um diese Gedanken gegenüber allen Bestreitungen von konservativer, aber auch gegenüber allen Perversionen, wie sie sich in der französischen Revolution so grauenhaft Bahn gebrochen hatten, in der rechten Balance zu halten. Die-se Wirklichkeitssicht fanden sie begründet in der reformatorischen Lehre von der bedin-gungslosen Annahme des Einzelnen durch Gott.

Damit diese Wesensverwandtschaft zwischen Protestantismus und Moderne weiter be-stehen könne, aber auch damit die Moderne nicht einer wichtigen Antriebs- und vor al-lem ihrer Regulierungskraft verlustig geht, setzten die Vertreter der Liberalen Theologie darauf, die traditionellen Lehrgehalte des Christentums so auszulegen und zu transfor-mieren, dass die geschilderte, für unabdingbar erachtete Bedeutung der protestantischen (reformierten*) Religion auch in der Neuzeit verständlich bleiben und die ihr zugeschrie-bene Funktion erfüllen könne. Zugleich suchte der theologische Liberalismus das Bünd-nis mit allen Strömungen und Teilbereichen der Gesellschaft, die sich einer Weiterent-wicklung der Kultur, hin zu einer humanitären Gesellschaft verpflichtet wussten. Gerade auch die Rechts- und Verfassungsordnung stellte einen wichtigen Bereich für das Enga-gement liberaler Protestanten dar, auch hier ging es vorrangig darum, überbordende Au-toritätsansprüche zurückzuweisen.

Der liberale Protestantismus hatte einen durchaus bedeutsamen Anteil an der Formung von Grundsätzen, die für moderne Gesellschaften heute selbstverständlich sind, wie etwa der Gedanke der Grund- und Menschenrechte oder auch des Frauenstimmrechts. Da seine Grundsätze aber mittlerweile längst zum Gemeingut moderner Gesellschaften ge-worden sind, schwindet selbst bei seinen eigenen Anhängern das Bewusstsein für die Notwendigkeit dieser Form des Christentums. Die jüngsten Erfahrungen mit dem Wie-dererstarken der Religion, die Erfahrungen auch, dass Religionen, wo sie nicht durch die Vernunft und auch durch das Recht kultiviert und in Schranken gewiesen werden, prob-lematische Züge annehmen können, machen deutlich, dass die Grundimpulse des libera-len Protestantismus und auch der liberalen Theologie nach wie vor ihre Berechtigung haben, wenn nicht sogar einer Renaissance bedürfen.

Reiner Anselm

* Der Prix libref. richtet sich an Fachpersonen, angehende Fachpersonen und wir Laien wären diesem Nachwuchs dankbar, wenn in Zukunft Begriffe so definiert werden, dass alle das Gleiche darunter verstehen oder im entsprechenden Fall die richtigen Wörter anwenden. Das wäre doch ein Thema: «Klare Definitionen von reformiert, protestantisch und evangelisch».

Rainer ist protestantisch evangelisch und ich reformiert evangelisch, wobei ich bei der Schweizer Armee als Protestant bezeichnet wurde. Letzteres ist meiner Meinung nach in der Schweiz heute nicht korrekt, es sei denn der «Grabstein«-Erfinder wäre nur der französischen Sprache mächtig gewesen. Nur eines ist ganz klar, evangelikal sind weder Reiner noch ich – wir sind eben liberal. «Und fürchtet euch nicht, denn diese paar Zeilen werden Diskussionen geben.» SMS 1

Huehnerich
Haehnin

Der Hahn – das Symbol der Reformierten. Bei dieser Spezies müsste man sich überlegen, ob nicht Hühnerich oder Hähnin die richtige Bezeichnung wäre. Oder hat sich da eine Fischflosse eingeschliechen? Möglich, denn die drei liegen Faul en See umgeben von Gnohmen und Elfen.

Vor einem Jahr:
Sendepause

Vor zwei Jahren erschienen:
SEK – Dank für Gedankenaustausch

Vor drei Jahren erschienen:
Merci an Pfarrer Wipf vom SEK für die tolle Reaktion

Vor vier Jahren erschienen:
Sikhs-Tempel von innen

Vor fünfJahren erschienen:
Frère Roger Schutz in Taizé getötet

© libref – Text und Foto: Stephan MartiFinanzblog

Rappaz, der "kleine" Mahatma Gandhi?


Liberal sein bedeutet verschiedene Meinungen akzeptieren, andere Blickwinkel haben. Und das nun seit über fünf Jahren auf diesem Blog. Liberal sein beüben wir gleich am Beispiel des Walliser Hanfbauern der seinen Hungerstreik abgebrochen hat.

von Jean-Claude Cantieni:

«Bernard Rappaz hat seinen Protest erfolgreich abgeschlossen, er kommt unter Hausarrest. Ist er «in welchem Sinne» ein Protestant? Ist der Hungerstreik gar ein legales Mittel der Selbsthilfe, so wie der Streik als solcher für ein Kollektiv – je unter liberalem Vorzeichen anerkannt ist?

Der Fall ist nicht nach einer Art Rationalisierungsguillotine unter einen Paragraphen zu subsumieren, zwangsernähren heisst Körperverletzung, Tod heisst Verletzen von Fürsorgepflicht, Garantenstellung des Staates im Srafvollzuge, und der Fall Rappaz erinnert so daran, wie die Philosophin Jeanne Hersch auf die positive Seite von Lücken verwies, welche die Chance einer revolutionären Individuation in sich birgt, weshalb der Staat dafür verantwortlich ist, dass sie als solche offen bleiben, während der Ruf nach einer gar gesamtschweizerischen Regel über den föderativen Bau der Schweiz hinaus ertönt. (Summum ius summa iniuria.)

Wichtig wird sein, dass der Fall so aus der Idee des Rechts, des Vorrangs der Freiheit zu reglieren ist. Der verstorbne Rechtsphilosoph J. Rawls würde von einem Fairplay sprechen, das ein Rückversetzen in einen Urzustand der Gleichheit als Denkfigur gebietet, in welchem wir hinter einem Schleier des Nichtwissens , der (allzu) persönliche Momente des Falles verbirgt, zu entscheiden haben. So bleibt zu fragen, wie der Fall Rappaz ins kulturelle Gedächtnis des Landes einzugehn hat, und dieses Gedächtnis ist glaublich in ganz Europa noch davon geprägt, dass der Staat sich nicht zum Richter übers Leben (Menschenrechtsdeklarationen nach dem Holocaust), sei’s durch Tun oder sei’s auch Unterlassen erhebt. Rappaz seinerseits kann sich darüber hinwegsetzen wollen, d.h. er wird sein Weiterleben im Lichte dieser europäischen Geschichte zu erleiden haben. Sein personaler und augenblicklicher Widerstand, dahinter Interessen stehn, hat auf den seitens des Staates zu stossen, welch Letzterer ein kollektives Gedächtnis verkörpert, darin Rappaz sich als integriert zu verstehn hat. Aufmerksamkeit (auf die Geschichte) kommt v o r Interessiertheit zumal in unserer Nonstop-Zeit, die nach Aufmerksamkeit absorbierenden Sensationen giert. Medien insbesondere nehmen am Los des Betroffnen kaum wahren Anteil nehmen. Wie viele Menschen hat der Blick gnadenlos infolge Verkehrtheit zwischen Aufmerksamkeit im Sinne eines kulturellen kollektiven Gedächtnisses und lediglicher Interessiertheit deloyal vorgeführt…

Wir haben Listen von Menschenrechten, doch sie verraten (nach U, Eco), dass die Idee des Rechts (seit dem Naturrecht?) im Verwissenschaftlichen des Rechten abhanden kam, sich, so die hier vertretene These, ins kulturelle Gedächtnis flüchtete, um dort womöglich einen Anschluss an die seither strapazierte Tradition aufzubauen. Die Strapaz ist eine umgreifende: Michel Foucault argumentiert mit dem Verschieben einer einstigen Ars amandi zur aktuellen scientia sexualis mit all ihren aufdringlichen Interessiertheiten anstelle von Aufmerksamkeit zumal in den Medien unter im Übrigen gleichen Verhältnissen.

Halten wir Freiräume, u.a. für den dornenvollen Hungerstreik, offen.

Besten Gruss,

Jean-Claude»

von Stephan Marti (meine Beiträge zum Thema Hunger):

Lecoin, Teufel und Mahatma Gandhi sind die bekannten Hungerstreikenden die Erfolg hatten und was mir wichtig erscheint, überlebt haben. Rappaz hat meiner Meinung nach bis heute keinen echten Erfolg. Den hat er erst, wenn der Hanf zumindest in der Schweiz legalisiert wird. Darüber liesse sich aus liberaler Sicht auch wieder tagelang philosophieren. Ich habe meine Meinung, bin bekennender Genussraucher in unserer heutigen Raucher hassenden (oder gar diskriminierenden) Zeit. Raucher verpönen und Rappaz schönigen. Da habe ich ein echtes gesellschaftliches Problem. Das ist inkonsequent destotrotz Hanf heute nur als Droge umstritten ist, die vielen anderen Vorteile die Hanf hat, kennen die wenigsten Leute. Der Hinweis hier im Wikipedia ist zurecht angebracht. Hanf hat viel mehr sehr gute Einsatzmöglichkeiten.

Wer aber Hanfsüchtige, Nikotinsüchtige und meinetwegen auch Genussraucher ablehnt, hat zumindest mal eine eigene Meinung und nimmt sich vermutlich zu Herzen, was überall auf den Packungen steht. Rauchen ist an öffentlichen Orten vermutlich europaweit verboten … da frage ich mich, wieso in der BernerZeitung die Schlagzeile «Villiger erwartet Rekordabsatz von einer Milliarde Glimmstängel» steht? Und wen wunderts, dass Aficionado noch mehr weiss … Hans ich freue mich auf was Raketen ähnliches zum 1. August. Süchtige und Geniesser, die man philosophisch vermutlich auch zu einer Gattung der Süchtigen zählen könnte, sind anscheinend nach nicht im Rückgang. Ein ganzheitliches Verbot wäre fehlt am Platz, denn was verboten ist, macht man umso intensiver. Die Prohibition lässt grüssen. Hier noch ein aktueller Tipp von Obi – unter drei Litern besteht keine Meldepflicht. Den letzten Satz sollten sie lesen: Destillieren ist ein Hobby – kein Verbrechen.

Trinken, ja das müssen auch Hungerstreikende. Die einen freiwillig, die andern unter Zwang. Und da sind wir Liberalen eben echt liberal. Im Gegensatz zu unserem Präsidenten verachte ich Hungerstreikende. Mein Körper hat selbst über fünf Monate einen Hungerstreik durchgemacht. Aber bitte beachten sie das Wichtigste. Meiner war ganz sicher nicht freiwillig, er war gesundheitlich bedingt. Es ist ein schreckliches Gefühl, wenn ihnen die Aufnahme von Nahrung widerstrebt. Und noch extrem viel schlimmer ist es, wenn man Hunger und keine Nahrungsmittel hat. Alle drei Sekunden stibt ein Mensch an Hunger. Meine Hochachtung hat Rappaz auf keinen Fall. Das Finanzielle wollen wir gar nicht gross erwähnen – Rappaz› Hausarrest kostet den Steuerzahler CHF 2400 täglich. Das ist wesentlich mehr, als ein Aufenthalt in der Intensivstation.

Wie viele gute und mutige Schreiberlinge gibt es die auch Erfolg hatten? Hunderte, Tausende … ? Und nur drei bekannte Hungerstreikende. Mahatma Ghandi – ein begnadeter Schriftsteller. Über Louis Lecoin und seine Namensspielerei «Lutz – die Ecke» gäbe es auch noch einige Gedanken zur Resistance zu äussern. Albert Camus schrieb für ihn – er erhielt den Nobelpreis für Literatur. Der kürzlich verstorbene Fritz Teufel schrieb z.B. «Märchen aus der Spassgerilja» – von Gerruilla (sp,e)/Guerilla (d) gesprochen eher Geria (betontes und langes «i»). Ganze drei, die Erfolg hatten und nur einen, der den meisten bekannt sein dürfte – Rappaz wird nicht darunter gehören. Dies meine Einschätzung zur heutigen Zeit, obschon Hanf, Marihuana, Haschisch, Cannabis alltägliche Wörter geworden sind. Lasst es besser sein, es gibt genügend andere endogene Drogen, nach innen wirkend, die Spassmachen … nicht nur Kaffee.

Hier noch eine extremere Meinung: «Rappaz ist ein feiger, hinterhältiger Verbrecher«

Schleifscheibe aus Hanf

Die Schleifscheibe aus Hanf, sinnigerweise von der Firma Eisenblätter, war schon im Gespräch mit Albert Einstein.

Vor einem Jahr:
Sendepause

Vor zwei Jahren erschienen:
http://libref.kaywa.ch/200808

Vor drei Jahren erschienen:
Le Temple

Vor vier Jahren erschienen:
Kabarett um Minarett

Vor fünf Jahren erschienen:
Rückkehr des Religiösen

© libref – Text und Foto: Stephan MartiFinanzblog

Bischof Koch und das Hohelied zur Toleranz


Kurz vor den Ferien meldet sich Jean-Claude Cantini mit einem Bericht zu Bischof Koch und Lew Nikolajewitsch Graf Tolstoi, kurz Leo Tolstoi.

Ein Bischof beklagt sich darüber, dass die Welt (oder doch der Erdkreis) sich von Rom distanziert. So wenig wie einst haltbar war, dass die Erde der Mittelpunkt des Kosmos zu behaupten war, bleibt Rom der Focus auf der Erde. Eine zweite Reformation ist dahin im Gange, dass die Differenz wichtiger denn der Zusammenhalt unter einem autokratischen Oberhaupt wird. Der Vergleich im Sinne von Ökumene vervielfältigt (glücklicherweise).

Ob Bischof Koch als Präsident des Einheitsrats von Kirche hierin mit zu spielen hat, dass wir uns im Glauben strikt über die Vielfalt als Einheit zu verstehn haben? Unsere Glaubensweisen tragen einen Zeichencharakter, weder mehr noch weniger, ohne, dass sie ihrerseits darauf angewiesen sind, von zentraler Stelle aus nochmals (als rechtgläubig oder nicht) bezeichnet zu werden.

Zum Hohelied› der Toleranz diene die folgende Geschichte

Als Leo Tolstoi Anfang April 1857 auf seiner ersten Auslandsreise von Paris her kommend mit dem Zug der Schweizer Grenze entgegenrollte, dankte er Gott, «Sodom» entkommen und am Leben zu sein. Zwei Tage zuvor hatte Tolstoi in Paris die Hinrichtung eines zweifachen Mörders mitangesehen. Das Bild des Mannes, der eine Bibel küsste, bevor ihm der «starke, weisse und gesunde Hals» von der Guillotine durchtrennt wurde, verfolgte Tolstoi in der Nacht darauf in seinen Träumen.

Wie können, fragte Tolstoi, sich die Menschen anmassen, «im Namen Gottes» Gerechtigkeit zu üben? «Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!», heisst es doch in der Bergpredigt. Für Tolstoi hatte dieses Bibelwort auch in der Kunst Gültigkeit: «Erzähle, gestalte, aber richte nicht», schrieb er am Tag nach seiner Ankunft in Genf in sein Notizheft. An diese Maxime wollte sich der 29-jährige Schriftsteller in Zukunft halten.

«Zurück zur Natur»

In der Schweiz wollte er, seinem Jugendidol Rousseau folgend, «zurück zur Natur». Mit einem «unschuldigen Knaben» wollte er durch die Berge wandern. Nachdem sich Tolstoi bei Verwandten in Genf und Clarens mit Schwefelbäderkuren und Lektüre von seinem Pariser Schock wieder etwas erholte hatte, war es so weit: Zusammen mit Sascha, einem elfjährigen Knaben aus dem Bekanntenkreis, brach Tolstoi zu seiner Bergtour auf. Zu Fuss, mit der Postkutsche und dem Schiff reisten die beiden von Montreux über den Col de Jaman ins Simmental, von Spiez nach Interlaken und Grindelwald. Die Reise verlief jedoch enttäuschend: Die Aussicht auf dem Col de Jaman liess Tolstoi «völlig kalt», und es gelang ihm nicht, sich «als Teil des unendlichen und schönen Ganzen» zu fühlen. Daher kam er zum Schluss, dass die grossartigen Gebirgspanoramen letztlich nur etwas für die Touristen seien, die nach ihrer Rückkehr von der Schönheit der Bergwelt schwärmen wollten.

Im Juli reiste Tolstoi über Bern nach Luzern, wo er im Schweizerhof, dem besten Hotel am Platz, abstieg. Als er zum ersten Mal in seinem Zimmer ans Fenster trat, wurde er so schildert er es in seiner autobiografischen Erzählung «Luzern» von der Schönheit des Sees, der Berge und des Himmels «geblendet und erschüttert». Doch die «seltsam majestätische und zugleich unsagbar harmonische und weiche Natur» schien ihm bedroht durch den Menschen, der gegen die «Bewegung, Asymmetrie» und die «abenteuerlichen Formen» der Seelandschaft einen «dumm und gekünstelt weissen, schnurgeraden Uferweg» gesetzt hatte, der, so Tolstoi, nur gebaut worden war, damit die (andern) Touristen den See entlang spazieren konnten. Sie waren Tolstoi während seines Aufenthalts in der Schweiz wiederholt auf die Nerven gegangen. Auch beim Abendessen im Schweizerhof brachten sie ihn in Rage. Wie sie am Tisch sassen, mit ihren wunderbaren Kleidern und ihren schönen, aber völlig teilnahmslosen Gesichtern, und sich nicht für ihren Tischnachbarn interessierten! «Dabei sind alle diese Menschen doch bestimmt nicht dumm und nicht gefühllos, sicherlich geht in vielen dieser erstarrten Menschen das gleiche innere Leben vor sich wie in mir. Weshalb berauben sie sich also einer der grössten Freuden des Lebens des Genusses aneinander, des Genusses am Menschen?»

Nach dem Abendessen spazierte Tolstoi durch die Gassen Luzerns. Plötzlich hörte er die Stimme eines Sängers, die ihm sofort das Herz öffnete. Er folgte der Stimme, bis sich vor ihm eine Strassenszene aufbaute: Er sah ein «winziges Menschlein», das unter den Fenstern des Schweizerhofs zur Gitarre ein Lied sang. Um den Sänger hatte sich ein Halbkreis gebildet; auf den Balkonen des prachtvoll erleuchteten Hotels drängten sich die Touristen.

Alle Umstehenden hörten aufmerksam zu, alle schienen das Gefühl der Freude zu empfinden, das Tolstoi in diesem Moment erfüllte. Als der Sänger seinen Vortrag beendet hatte und mit seinem Hut um eine Spende bat, gab ihm, abgesehen von Tolstoi, niemand etwas. Stattdessen fing die Menge an zu lachen und zerstreute sich, als der Sänger seinen Hut nahm und in einer der Gassen verschwand.

Tolstoi geriet ausser sich vor Zorn. In seinem Kopf spulte sich eine Wutrede gegen Touristen (statt Gäste) ab, die in «Luzern» mehrere Seiten umfasst: «Wie konntet ihr auf einen reinen Genuss, den euch ein armer bettelnder Mensch bereitet hat, mit Kälte und Spott antworten?» Ist es wirklich so, dass in der modernen Klassengesellschaft das «einfache ursprüngliche Gefühl des Menschen für den Menschen» durch «Eitelkeit, Ehrgeiz und Gewinnsucht» abgelöst worden ist?

Dann wendet sich seine Erzählung vom Sozialkritischen ins Theologische: Getreu der Maxime, die er sich bei seiner Ankunft in Genf notiert hatte, dürfe auch er sich nicht zum Richter aufschwingen. Ein Urteil stehe allein Gott zu, der alle gestattet und befohlen hat. Nur dir, dem nichtigen Wurm, der seine Gesetze, seine Absichten dreist und eigenmächtig zu durchdringen versucht, nur dir scheinen das Widersprüche zu sein.»

In wenigen Tagen brachte Tolstoi die «Luzern»-Erzählung zu Papier und verliess zehn Tage später die Schweiz mit der Erkenntnis, dass er «viel Neues und Wichtiges zu sagen» habe.

Wie dürftig, den Widerspruch, die Differenz nicht als Chance für den vervielfältigenden Vergleich wahrzunehmen vom Alltage bis zur Ökumene wahrzunehmen.

Guten Sommer und Gruss,
Jean-Claude Cantieni

Vor einem Jahr:
«Sendepause»

Vor zwei Jahren erschienen:
Jalsa Salana der Ahmadiyya Bewegung in Frauenfeld

Vor drei Jahren erschienen:
Luther schreibt dem Papst

Vor vier Jahren erschienen:
Merci und tschüss

© libref – Text aufgeschaltet: Stephan MartiFinanzblog

Ethik ist wie Regenwetter – unangenehm aber bitter nötig


38 : 31 ist nicht das Resultat eines Superspiels an der WM in Südafrika, sondern das Ergebnis der Wahl für den neuen SEK-Präsidenten Gottfried Locher.

Neuer Ratspräsident bei den Reformierten» – nur Radio Vatikan schreibt, wer schlussendlich Gottfried Locher zur Wahl des SEK-Präsidenten verholfen hat … die französischsprachige Schweiz. Herzliche Gratulation Herr Locher und wir von libref. hoffen mit ihnen genau so gut oder noch intensiver als mit ihrem Vorgänger Thomas Wipf zusammenarbeiten zu können.

Wir gratulieren auch David A. Weiss für seinen Achtungserfolg.

Den wesentlich längeren Originalbeitrag finden sie auf Freie Welt oder im Finanzblog.

Vor einem Jahr erschienen:
Portrait des Vereins freier Protestanten CH

Vor zwei Jahren erschienen:
Einmal ein wirklich ethisches Konzept

Vor drei Jahren erschienen:
Bethlehem und zwei mal Tscharnergut

Vor vier Jahren erschienen:
Davinci beim St. Peter

© libref – Text und Foto: Stephan MartiFinanzblog

Bleibt die reformierte Schweizer Kirche liberal


Ob liberale Kirche oder liberale Politik. Wir Liberalen in der Schweiz machen einen Fehler. Wir machen uns nicht bemerkbar und wir vernetzen uns nicht. Die Kirche gehört zu unserer Kultur und wird den heutigen allgegenwärtigen Wandel von Gesellschaft und teils auch Wirtschaft mitbestimmen. Wir drücken David A. Weiss für das Ratspräsidium des SEK die Daumen – die Vernunft der modernen Mitte soll gewinnen und die Zukunft bestimmen.

«Kirchenbund (SeK)/ Thomas Wipf, Präsident
des Evangelischen Kirchenbunds, tritt zurück. Folgt
nun ein Berner? Ein Romand? Oder eine Frau? … weiterlesen bei reformiert

Ein Berner? Wir hätten uns gefreut, das wäre Balsam für die Kirche, nur kandidiert in drei Wochen nicht der liberale Andreas Zeller.

Zugegeben, Bern ist der wichtigste Part in der Schweiz, was die Reformierten anbelangt. In den vergangenen Jahren habe ich als «ehemaliger» Berner einiges mitbekommen, aber eines dürfen wir nicht vergessen:

«Der grösste Teil der Schweizer Reformierten ist liberal … nimmt die Kirche mit einem weinenden und einem lachenden Auge zur Kenntnis, nimmt nicht aktiv teil … und ist eben doch so liberal und mit unserer christlichen Kultur verbunden, dass er weiterhin seinen Obolus bezahlt … freiwillig!»

Das Präsidium des SEK, des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes ist neu zu besetzen. Evangelisch? Oder doch eher Reformiert oder gar Protestantisch. Ein theologischer Zankapfel oder eher ein philosophischer Standpunkt? Das SEK soll nicht evangelikal sein und nicht protestieren. Es sei denn, es wäre ein Romand, un protestant. Aber das SEK darf reformieren.

Liebe Berner, seit 24 Jahren hattet ihr das Präsidium des SEK nicht mehr. Kirchengeschichtlich dürfte euch das Beharren auf dieses Amt vielleicht noch einmal überraschen. Im Interview gibt sich Gottfried Locher ganz locker:

«Frage 5: Was machen Sie mit einem Bischofshut?
Locher: Ich warte, bis endlich wieder der 1. April da ist, setze den Hut dann auf, mache ein Foto und schicke es der «Reformierten Presse». Dann ziehe ich den Hut wieder aus und schenke ihn jemandem, dem er passt.»

Gibt es bald reformierte Bischöfe? Wenn es nach Gottfried W. Locher ginge, ja.

Er ist Leiter Aussenbeziehungen des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK), sitzt somit in der obersten Kirchenleitung und hat in einem Interview in der «reformierten Presse» seine Idee der Bischöfe erläutert» …wer neben dem Bild der Reformierten Presse weiterlesen und denken möchte … bitte sehr

Bei der Wahl ums SEK-Präsidium geht es nicht nur um persönliche Fähigkeiten. Hier wird Locher einen Trumpf spielen können. Aber es braucht mehrere. Es braucht eine brauchbare kirchliche Leitschnur. Ein Bischof der die Mitra nur am 1. April aufsetzen will, weiss dass diese eigentlich Strinbinde bedeutet – nicht Augenbinde.

Der dritte Kandidat, Didier Halter aus Sitten ist für mich der «Unbekannte». Ich kann nicht alle Leute kennen. Vielleicht schreibt jemand anderes über ihn. Sitten, der Hauptort des Kantons Wallis ist Bischofssitz. Ein echter, ein katholischer. Und wenn ich mich nicht täusche, spreche ich in Sitten nur Französisch und so ist mir der Name als «Sion» besser bekannnt. Und die Deutsch sprechenden sagen eh «Sittu», was dem Berndeutschen sehr nahe liegt – zum Beispiel Huttu, wo ich selbst mal gearbeitet und gelebt habe.

Liebe Berner, die Üsserschwitz, so wird im Wallis der restliche Teil des Landes ausserhalb ihres Kantons genannt, hat noch einen weiteren Kandidaten. Einen Innerschweizer aus Luzern und wer die Geschichte etwas kennt, der müsste wissen, dass ein «ausgewanderter» Aargauer eigentlich ein Berner ist.

David A. Weiss scheint deshalb nicht nur regional ausgewogen zu sein, auch die Zürcher wissen dies und beschreiben deine Vorzüge klipp und klar. Bis jetzt habe ich nur über einen einzigen angeblichen Nachteil gelesen. Weiss sei zu alt. Ich fühle mich auch gleich angesprochen, da wir vermutlich den gleichen Jahrgang haben. Da bleiben noch zehn Jahre Zeit, um die Kultur der Schweiz mit zu gestalten. Und das nächstemal darfst du uns ruhig informieren. Ja so sind wir Liberalen, man liest die Zeitung und ist halt so informiert. Ich hoffe, dass ich dir an unserer nächsten jährlichen Sitzung im März rückwirkend gratulieren kann.

David A. Weiss
David A. Weiss ist Stiftungsrat der Lang-Stiftung und damit libref. engstens verbunden.

Vor einem Jahr erschienen:
Stadtkirche versus Landkirche

Vor zwei Jahren erschienen:
Sind Blogger «Journalisten»? – Eine aktuelle Studie

Vor drei Jahren erschienen:
Kirchenpolitik – Beobachtungen nach der Wahl

Vor vier Jahren erschienen:
Rat der Religionen gegründet

© libref – Text: Stephan MartiFinanzblog – das Foto ist kopiert (zvg stand dabei) – David, wenn du bei mir wie versprochen mal reinschaust, so schiesse ich selbst eines von dir – und deinem Hund

Vereinigung Freier Protestanten Chur


Kleine Geschichte der Vereinigung Freier Protestanten Chur
ab Gründungsjahr 1906 in St. Matin

eine Utopie, auf welche Säkularität folgte

Inhalt

I. Vereinsportrait,
II. Reformkreise, Schweizer Reformtage, in Chur 1906
III. Quellen,
IV. Archiv & Archivplan der Gruppe freier Protestanten Chur, Regesten

I. Portrait des freien Christentums Chur in liberalem Umfeld

Die ‚Gruppe freier Protestanten, Chur und Umgebung’, Sektion des Schweizerischen Vereins für freies Christentums, ist ein Verein. Sie ist Produkt des freieren Gesellschaftswesens, das sich – auch in der Stadt Chur – aus den engen Zunft-Zwängen herausgelöst hatte. Anfangs 19. Jahrhundert waren die Stadtpolitiker, selbst solche evangelischen Glaubens, noch im Domherrenkapitel vertreten. Die Staatskirche wandelte sich dann zur vom Staate gelösten Landeskirche, (freier Staat, freie Kirche), welche sich in den Territorialgemeinden als jeweilige Kirchgemeinden konstituierte.

In Chur entstand 1906 die liberale ‚Fraktion’ des freien Christentums der Evangelischen Kirchgemeinde Chur. Die Gruppe trat spät, 1959, dem Schweizerischen Dachverbande bei, der seinerseits Mitglied der IARF, der International association of religious freedom ist, und die in der Generalversammlung der UNO in New York mit beratender Stimme vertreten ist (ständiger Sitz bei der UNO in Genf). Die Gruppe freier Protestanten Chur hat somit einen ‚direkten Draht’ zum Weltparlament.

Chur beherbergte so auch schon Kongresse der IARF.

Religion wurde seither weithin Privatsache, doch damit fehlt einerseits der Religion des privaten Bekenntnisses die Relativierung, die sich in öffentlichen Debatten , Debatten öffentlichen Denkens einstellt., und die vor fundamentalistischen Holzwegen bewahrt, So kommt es anderseits dazu, dass der emphatisch vertretene Grundsatz von der weltanschaulichen Neutralität des Staates in eine Ratlosigkeit mündet, wie dieser mit Religion als einem bleibenden wichtigen Faktor des gesellschaftlichen Zusammenlebens umgehen soll, mahnt Reiner Anselm, in ‚Glaubenssache, Lenzburg, 2006.

II. Reformkreise – Reformtage freien Christentums

Der Reformtag von 1906 in Chur: Gründung der Gruppe freier Protestanten Chur

An der Gründungsversammlung des Schweizerischen Vereins für freies Christentum und in den nachfolgenden Jahresversammlungen nahmen auch regelmässig Delegierte von ausländischen verwandten Gruppierungen teil, was den jungen Verein reformistisch universalistisch in einer Kirche prägte, die einst beanspruchte, Kirche als das menschliche Mittel der Offenbarung in der Hand Gottes, als menschliche Gemeinschaft, in welcher dem Reden Gottes durch Menschen gedient wird und dieses Reden Gottes an Menschen Ereignis wird, zu sein.

1906 wurde die Churer Sektion an der Jahresversammlung eines solchen Reformtages in der St. Martinskirche gegründet.

Protokolle zur Gründung der Churer Vereinigung und ihrer Ziele sind leider verschollen, weshalb auf Programmpunkte des Dachverbandes zu seiner eignen Gründung um 1871 stellvertretend zurückzugreifen ist. Die Aufnahme der persönlichen Glaubensfreiheit in der Verfassung hatte gezeigt, dass liberal-reformatorisches Engagement bereits damals die Gesellschaftsordnung mitbestimmte. – Freies Christentum wandte sich so an diejenigen, welche den Dogmen entfremdet waren, doch ihre religiösen Bedürfnisse nicht verleugnen wollten, wie folgt;

– „Es ist nun die Aufgabe des freien Christentums (ehemals Reformverein), die Lämmer aus dem Schiffbruche der geoffenbarten Religion zu sammeln“.

– „Religion ist wieder zur Sache des Gewissens zu machen, weshalb auf die Verwirklichung einer in der menschlichen Natur begründeten, innerlichen Religion der Humanität und des allgemeinen Priestertums zu dringen ist“.

– Der Verein wollte zum Vornherein für alle offen sein: „Was gehen uns Namen an, die zu uns kommen, wenn unser Programm sie nicht abschreckt.“ – „Abgelebter Glaube ist weg zu glauben.“

– „Ziel ist, eine Kirche, die in Freiheit des Glaubens lebt, mit der Einheit des religiösen Volkslebens zu verbinden, der Macht der Geschichte, statt Personen zu vertrauen.“

– „Religion ist durchs Gewissen, keine Konfession definiert“.

– „Freies Christentum baut darauf, dass die Menschen für Wahrheit und Religion empfänglich sind“. – Anders ausgedrückt: Wenn Katholiken über die Kirche zu Gott finden, findet die reformierte Kirche über die Menschen zu Gott (Schleiermacher).

Sektion Chur unter Sektionen des liberalen Christentums in der Schweiz

Der Churer Verein ist Sektion des Dachverbandes, weshalb die Mitglieder der Vereinigung freier Protestanten Chur in der Mitgliederversammlung stimmberechtigt sind. Dies gilt auch für Einzelmitglieder ausserhalb der von Sektionen abgedeckten Regionen. Der freie Protestantismus ist damit ‚basis-demokratisch’, das heisst: er spiegelt direkte Demokratie als spezifisch schweizerische Mentalität.

Rund 10 Sektionen liberaler Christen in den Landschaften bis ins mehrheitlich katholische Tessin hinein pflegten einmal den Kontakt zueinander unter dem ‚Dach’ des schweizerischen Vereins. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat jedoch ein Erosionsprozess eingesetzt. Luzern und Basel lösten sich in letzter Zeit auf, so dass zur Jahrtausendschwelle die Frage gestellt wurde, ob der Dachverband nach 130 Jahren sich in die Zukunft fortsetzen soll? Die Mitgliederversammlung 2003 in Bern, an welcher die Churer Gruppe mit einer stattlichen Delegation sich beteiligte, engagierte sich jedoch für ein Fortleben des Verbandes.

Ein neuer Vorstand übernahm die Regie. Er deutete an, dass er die Frage des Verhältnisses Religion und Staat aufzugreifen gesonnen ist. Die Bundesverfassung reklamiert Gottes Stimme, um sich dem Lande zu verkünden; ‚Im Namen Gottes des Allmächtigen…’ Es folgen Freiheitskataloge darauf, auch die von Glaubens- und Gewissensfreiheit seit 1874, und doch zeugen Kataloge, Listen von einer gewissen Verlegenheit insoweit, als sie darauf verweisen, dass der Begriff, welche die aufgelisteten Dinge, Freiheiten als Ganzes umschreibt, erodierte. Die Freiheitlichkeit einer Verfassung ist ihr so nicht schon eingeschrieben, und das Freie Christentum fragt deshalb nach Möglichkeiten und Grenzen von einem liberalen Religionsverfassungsrecht in säkularer Zeit.

Einladungen an die Sektionen

Einladungen des Dachverbandes ergehen heute noch an rund 1000 Adressen in den Sektionen Langenthal, Bern, Genf/Waadt und Chur mit seinen rund hundert Vereins- Mitgliedern. Zur Zeit löst sich Zürich auf.

Theologisch liberale Presse

Theologisch-liberales Gedankengut strebt nach Öffentlichkeit, und so existerten im 20. Jahrhundert mannigfache Publikationsorgane Freien Christentums.

Die einstige Monatszeitschrift ,Das ‚Schweizerische Reformierte Volksblatt’ ging 2007 ein, nachdem keine neue Abonnenten mehr in die Reihen älterer nachwuchsen. Periodisch erscheint nun ein Blog unter dem entsprechenden Kürzel ‚libref’. Er wird von einem Vorstandsmitglied von libref. betrieben.’

Im‚Volksblatt’ fanden sich vielfach Artikel auch von liberalen Kirchenmitgliedern aus Chur; bspw. von Huldrych Blanke zu ‚Bernhard von Clairvaux und Zillis, in Nr. 2/1991, von Pfarrerin Ursi Tanner-Herter aus Furna: Volkskundliches zum Osterfest’ in der gleichen Nummer. Von der gleichen Autorin stammt in Nr.&1991 ein Artikel zu ‚Advents- & Weihnachtsbräuchen’., dann in 1/1992: Probleme beim Übersetzen aus dem Hebräischen’. Die Autorin wirbt hier für ein Erlernen auch von längst nicht mehr gesprochnen Sprachen. – Peter Kirchebner publizierte in Nr. 2/1992 aus seiner Spitalpfarrer-Praxis, die als Seelsorge dem ganzen Menschen gilt.

Auch das bündnerische Freie Christentum verlor seine Presse, den ‚Bündner Protestanten’. Er war erstmals 1948 erschienen, und die letzte Nummer stammt vom 1. Dezember 2002 (Nr. 6), d.h. nach 54 Jahren des Erscheinens. Letzte Redaktorin war Frau Pfr. Ursi Tanner-Hertner, Furna.

Zahlreiche Artikel daraus wurden auch im Schweizerischen Blatt, dem „Reformierten Volksblatt“ abgedruckt.
Bündnerische Präsidenten

In Pfarrer Peter Niederstein und der Verfasser stellte bzw. stellt Bünden einen Präsidenten des Schweizerischen Vereins, in dessen Vorstand viele bündnerische Liberale, zumeist Theologinnen und Theologen, mittaten. – Dr. Peter Dalbert, Chur, war Präsident einer liberal geprägten IARF.

Lang- Stiftung

Pfr. Fritz Peer aus Chur wirkt in der Lang-Stiftung mit, welche Theologiestudenten mit Beiträgen in ihrer Ausbildung zu einem möglichst liberal geprägten Berufsverständnisse eines Pfarrers führen soll.

Zwinglibund

Theologisch-liberales Gedankengut fand Aufnahme unter Jugendlichen lange in den Zwinglibünden auf schweizerischer Ebene und auch in Chur.

Gründung von Sektionen freien Christentums in Graubünden selbst

Der Anstoss, Sektionen freien Christentums in Graubünden zu gründen, ging vom Dachverbande aus. Der liberale Engadiner Pfarrherr L. Michel von Sils rief die Sektion St. Moritz (12. & 13. Juni 1871) ins Leben. 30 Mitglieder fanden sich im neuen Verein zusammen.

Heute existiert neben der Sektion Chur, der Gruppe freier Protestenten, Chur, noch die Arbeitsgemeinschaft freier Theologen’ (AFT), welche den Kanton anstelle der damaligen Kantonalsektion abdeckt.

Ein Vordenker des liberalen Christentums in Graubünden

war Johann Caspar von Orelli (1787-1849), der zwischen 1814-1819 an der Kantonsschule in Chur lehrte. Ausgebildet am Carolinum in Zürich, suchte von Orelli J.H. Pestalozzi auf, worauf er als Privatlehrer und Pfarrer nach Bergamo in die Lombardei ging. Von der damaligen kircheneignen Ausbildungsstätte der Pfarrer distanzierte er sich und besetzte als Kirchenreformer einen Lehrstuhl an der Universität. – Seine Schüler in seiner Churer Zeit scheinen ihn vergöttert zu haben.
Was prägte ihn als Person und mit ihm liberales Christentum? Orelli war Pragmatiker, Anwender, kein Erfinder. Er glaubte an eine beherrschende Kraft menschlicher Vernunft, und galt als einer der letzten Aufklärer. Er glaubte als solcher ans lebendige Gespräch mit dem Kulturerbe. Liberales Christentum sollte über die sich wandelnde Beziehung unserer Gesellschaft zu ihrer kulturellen und spirituellen Tradition nachdenken.

Neben von Orelli wirkten zwei weitere frühe Liberale in Chur ebenfalls an der Kantonsschule: die deutschen Emigranten Follen und Kaltschmidt. – Kaltschmidt, welcher einzelne Predigten in der Martinskirche hielt, wurde von der Politik ‚kaltgestellt’, weil er den Lehrbegriff der Kirche in Frage stellte. Follen war ein ganz und gar freier Geist (Hans Berger). Auch er wie von Orelli, ein Altphilologe. Sein Geschichtsunterricht an der Kantonsschule widersprach offenbar mit seiner ‚freisinnig religiösen Lehre’, der Lehre von der Menschheit Christi, der ‚herrschenden Lehre’. Ohne rechtliches Gehör erhalten zuhaben, wurde er entlassen. Die Synode konnte einer von ihm angeregten Disputation darüber ‚aus Zeitgründen’ nicht stattgeben. Die Geistlichen Bündens waren noch lange dem Autoritäts- & Buchstabenglauben der Helvetischen Konfession zugetan. Um die Mitte des 19. Jahrhundert siegte dann die liberale Majorität in der evangelischen Session im Grossen Rate bei der Aufhebung der theologischen Abteilung (an der Kantonsschule), an welcher die Bündner Theologen studieren konnten. Die Abteilung hätte, nach den Orthodoxen, weiter geführt werden sollen, damit Bündner Theologiestudenten an ausländischen Universitäten nicht ‚verdorben’ würden. Sie würden danach liberale ‚Strausssche’ Ideen vertreten wollen (gemäss David Friedrich Strauss: ‚Der alte und der neue Glaube, Leipzig 1872), d.h. der Evolutionslehre Darwins frönen.

Als Liberaler wirkte weiter damals an der Kantonsschule Otto (de) Carisch, 1789-1858. Er studierte Theologie in Berlin, wo er Schleiermacher hörte. Den Pfarrerberuf zu ergreifen, konnte er sich nicht entschliessen, sondern wurde 1819 Professor für Italienisch, Deutsch und Geschichte, weitestgehend von Pestalozzi beeinflusst. Am 22. Juni 1824 wurde er in Chur in die evangelisch-rätische Synode aufgenommen und erhielt damit die Berechtigung für die Ausübung eines Pfarramtes im Kanton Graubünden. Nach der Aufnahme in die Synode erteilte er an der Kantonsschule auch Religionsunterricht. Im Jahre 1852 begann er mit der Übersetzung des Neuen Testamentes ins rätoromanische Idiom des Bündner Oberlandes, das Surselvische. Carisch war einer der bedeutendsten evangelischen Pfarrer in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Graubünden. Neben seiner pädagogischen und theologischen Arbeit hat er auch als Philanthrop und Lexikograph besondere Bedeutung. Seine neutestamentliche Übersetzung in das Surselvische war zwar in kirchlichen Kreisen angefochten, doch für das 19. Jahrhundert ein Fortschritt gegenüber den stark konfessionell geprägten Übersetzungen des 17. Jahrhunderts.

Schleiermachers liberaler Einfluss wurde auch in Leonhard Herold (Pfarrer zu St. Martin 1859-1896) spürbar. Er war der Vater von Hermann Herold, welcher unter anderem den (finanziellen) Grundstein zum Kantonsspital setzte.
Die liberale Theologie fasste im Pfarrkollegium Fuss; was dazu führte, dass sich eine ‚positive’ Minderheit konstituierte, als die beiden liberalen Pfarrern Herold und Grubenmann Stadtpfarrer waren. Ab der zweiten Jahrhunderthälfte hatte die Liberale Theologie sich für rund ein Jahrhundert als Mehrheit etabliert, was so ganz selbstverständlich nicht war. Die ’soziale Frage’ stellte sich auch in Chur, nachdem das Industriezeitalter (Eisenbahn, Buschwerke, Autogewerbe etc.) mit den fremden Verbindungen rheinaufwärts hier angekommen war. Sie stellte sich auch deshalb, weil ‚man’ in evangelisch Chur leicht herablassend von den ‚Unterstädtern’ redete, wenn von der Minoritätsgemeinde der ‚Positiven’ die Rede war.

In Pfarrer Rudolf Grubenmann, (1872-1895) hatte die soziale und humane Not einen liberalen Anwalt des praktischen Christentums – in einer kirchenkritischen Stadt, wie Leonhard Ragaz schrieb, der als Liberaler in Chur gewählt worden war und es zugleich als seine Pflicht sah, ‚mit den emporstrebenden Klassen zu gehen’.
1913 wurde erstmals ein ‚positiver’ Pfarrer gewählt.

Das ‚Richtungswesen, das im Laufe der letzten hundert Jahre in Chur eine nicht geringe Bedeutung gehabt hat’, wie Pfarrer Hans Berger in ‚Evangelisch Chur – seine Prädikanten, Kirchen und Friedhöfe’, Chur 1978, schreibt, ist in letzter Zeit (um 1970 sc.) stark zurück gegangen. In der Folge verloren auch die ‚Fraktionen’ an Profil – und Mitgliedern.

III. Quellen, teils versiegt

Das Archiv des Schweizerischen Vereins, in dem Sektionsakten figurieren, gelangte geordnet ins Staatsarchiv des Kantons Bern, in Bern. Es weist beachtliche Vollständigkeit auf (Protokolle der Versammlungen, der Vorstandssitzungen, Tagungen, Druckschriften, Korrespondenzen…). Aus diesem Archiv fliessen fragmentarisch Quellen zur im übrigen verschollenen ersten Geschichte der ‚Gruppe freier Protestanten Chur’, deren dokumentierte Geschichte mit rund 1960 einsetzt, d.h. seit dem, dass die Sitzungen im Konferenzzimmer des Comander-Kirchgebäudes stattfinden, wo sich nun auch das Archiv befindet.

Streiflichter zur (dokumentierten) Geschichte ab Gründung 1906
(Extrakt aus dem Archiv des Dachverbandes, Bern)

1. Gründung der Churer Sektion anlässlich Reformtag des Schweizerischen Vereins vom 10. & 11. Juni 1906 mit Gottesdienst in St. Martin, Referaten im ‚Drei König’ und Bankett im ‚Steinbock’, Sonntagnachmittag Wanderung nach Passugg.

Die Bündner Presse hiess den Reformanlass willkommen. Graubünden sei seit 1526, als Bekenntnisfreiheit auf Verfassungsstufe (in den Ilanzer Artikeln und dem Bundesbrief) eingeführt worden sei und die Dörfer sich für den neuen
oder alten Glauben hätten entscheiden können, stets reformorientiert gewesen. Etliche ausländische Delegationen verliehen auch dem Reformtag in Chur, wie erwähnt, traditionsgemäss einen internationalen ‚Touch’ inmitten des Kirchenvolkes. Mehrere Rezensenten kommentierten den Verlauf dieses Reformtages dann in der Tagespresse. Kopien des ‚Freien Rätiers’ befinden sich im Archiv.

Auszug aus dem Freien Rätier vom 12. Juni 1906;

‚Zur 17. Jahresversammlung, d.h. zum 17. Reformtag, treffen morgen die Delegierten und andern Mitglieder dieses Vereins… in Chur ein. Aus allen Kantonen, die Sektionen des Dachverbandes kennen, werden Vertreter in Chur einrücken. Sie seien herzlich willkommen. (Folgt das Programm.)

Die Verfechter der freien Richtung in der Kirche, seien auf dem Boden alt fry Rätiens willkommen; Es ist hier guter, echter Boden für ein Reformfest… Hier hatte die religiöse Freiheit zuerst Wurzel geschlagen in der Welt (Ilanzer Artikel 1526)… Möge die kommende Tagung die schweizerische Reform kräftigen, den freien Geist in Rätien beleben.’
In den Ausgaben vom 12. 13 und 14. Juni rapportiert der Freie Rätier das Tagungsgeschehen der beiden Churer Reformtage schon jeweils auf den Titelseiten. ‚Neben den bündnerischen liberalen Pfarrern und den Sektionsvertretern in der Schweiz sind Delegierte aus dem Ausland; selbst von England her, nach Chur gereist. …Die Predigt gestaltete sich nach Markus XII, 30 über die Zeichen der Zeit. Ein neues Zeitalter breche an, predigte Pfr. E. Baudenbacher aus Bern. Da bedürfe die Welt ganzer Persönlichkeiten, die Irdisches und Himmlisches in grossen Gedanken zu verflechten vermöchten., Volks-, Vaterlands- und Gottesdienst seien einander anzuverwandeln.. Das Orgelspiel des blinden Karl Köhl unterstrich den Appell des Redners, sich für eine ‚grosse Zeit’ zu rüsten.

Der Präses des Dachverbandes, Pfr. A. Altherr, Basel, leitete anderntags den Reigen der Reden ein. Der Konflikt zwischen Glauben und Wissen bleibe niemandem zu keiner Zeit erspart. – Reverend Lummis aus England begrüsste die Versammlung für die Unitarier in England selbst und in seinen Kolonien. – Pfr. Wellauer, Appenzell, erläuterte die soziale Arbeit des Pfarrers. Nicht das Faustrecht der Kapitalisten dürfe obsiegen. Prof. Schmiedel, Zürich, widmete sich der Antwort auf die Frage nach dem historischen Jesus, seinem Selbstverständnis in der Abkehr vom mosaischen Gesetze, die er sich mühsam abgerungen habe, um zu einer endgültigen Sittlichkeit zu kommen…’

2. Der Start des liberalen Churer Vereins gelang: Mehrere hundert Mitglieder melden die Sektionsberichte aus Graubünden.

3. Sowohl die Vereinsengagements der Churer Gruppe wie der übrigen bündnerischen Gruppierungen freien Christentums fokussieren bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts auf Vorträgen, die vielfach gedoppelt sind: Ein wissenschaftlicher Vortrag eines Universitätsexponenten und ein Referat eines einheimischen Pfarrers. Albert Schweitzer, selber einmal Gast in Chur, ist wiederholt behandelt worden.

4. Weitere exemplarisch herausgegriffene Vortrags-Titel sind bzw. waren:

4.1 Lehre vom ewigen Leben in liberaler Dogmatik,
4.2 Zwinglis religiöse Grundpositionen nach seinen Hauptschriften
4.3 Pastor Friedrich von Bodelschwingh (seine Anstalten)
4.4 Blaise Pascal als Prototyp moderner Religiosität
4.5 Anklage gegen den Geist in der Philosophie von Ludwig Klages
4.6 Jenseitsvorstellungen in der Bibel
4.7 Friedrich Naumanns religiöse Gedankenwelt
4.8. Protestantismus im Ringen der Gegenwart
4.9 Kirche und Demokratie
4.10 Was uns die russische Gottlosenbewegung sagt
4.11 Christentum und Krise

5. Noch in der Zeit des Weltkrieges von 1939/45 hatte die liberale Theologie die Ideenhoheit , was ihr zugleich die Verantwortung für das Ganze abrang, sie jedoch zugleich zur Toleranz gegenüber Minderheiten ermächtigte.

6. Neben Vorträgen erscheinen ‚Abendfeiern’ und Familienabende, an welchen zuweilen auch Theater gespielt wird (Simon Gfellers; ‚Religiöser Schwarmgeist’, darin aufklärerisches Gedankengut und ländliche Bodenständigkeit einander anverwandeln). Das Leben sei in kein Referat zu packen, referiert der Chronist.
7. Beide Weltkriege sind als Appelle an die Solidarität mit den kriegführenden Völkern aufgefasst worden. Die Churer Gruppe sammelt Fr. 7600.— für kriegsversehrte Holländer nach 1945.
9. 1942 wird die Arbeitsgemeinschaft freier Theologie (AFT) erstmals aktenkundig, indem sie ‚Neu-Orthodoxie’ anficht. Neo-Orthodoxie stand ihnen für Rückkehr zu Dogmen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten noch nicht wenige Theologen eine Liberalisierung des Christentums erwartet. Damit einhergehen sollte ein neues Zeitalter der Toleranz, des Friedens und der Gerechtigkeit. Die Kirche selbst war in ihrer Erwartung der Dinge, die kommen sollten, gespalten. Konservative Leiter wurden durch die um sich greifende Säkularisierung alarmiert. Liberale Theologen erwarteten von ihrer Theologie dagegen universelle Liebe und Gerechtigkeit schon auf Erden.

IV. Das Archiv des Vereins ‚Freie Protestanten Chur’

Der Fortgang der Geschichte der liberalen Gruppe ist gediegen dokumentiert. In Bücher gebunden sind die Protokolle zu den sämtlichen Sitzungen mit den wichtigsten Sitzungsunterlagen. In Archivschachteln sind die Korrespondenzen chronologisch und nach Sachbereich eingereiht, desgleichen Drucksachen (u. a. Jahresgaben), die Korrespondenz mit dem Schweizerischen Verein für freies Christentum, gebundene Zeitschriften, lose ‚Der Bündner Protestant’, Mitgliederverzeichnisse.

Neben die ‚klassischen’ Vortragsabende ‚von damals’ treten gut dokumentierte diskurs-orientierte Referate, Korreferate zur Ökumene, tritt das protestantische Zeugnis des Dialogs, regelmässig auch mit den liberalen ‚Bündnerinnen und Bündnern für eine glaubwürdige (katholische) Kirche’.

Das Selbstverständnis des freien Christentums bedarf heute zusätzlicher Pflege, wie aus der Entwicklung der Churer Kirchgemeinde folgt. Die freien Protestanten haben wohl noch Sympathisanten im Pfarrkollegium, doch kein Mitglied mehr. Sie stellen zwar noch den Kirchgemeindepräsidenten, und doch ist der Einfluss auch im Kirchenparlament gering. Initiativen an Kirchgemeindeversammlungen dringen nicht mehr durch, so kürzlich die Forderung nach einer Geschäftsprüfungskommission, ebenso im Falle des erfolglosen Kampfes um den Erhalt des zweiten Kirchgemeindehauses an der Brandisstrasse (2008).

Bleibt zu hoffen, dass die ‚Marginalisierung’ der Vereinigung den Sinn für echte Fragen zur ‚Rechtgläubigkeit’ schärft, die Vereinigung das Salz , zumal das der Freiheit, das bekanntlich nie dumm wird, weiters in die Diskussion um Glaubensinhalte streut. Die Religionsgeschichte zeigt, dass befreiende Bestrebungen in der Kirche immer wieder von Minderheiten ausgegangen sind, zumal wenn die Gesellschaft so überregliert war wie dem heute neuerlich wieder so ist, sie als so komplex erscheint, dass vor lauter Tannen der Wald nicht mehr zu sehn ist.

Archivplan 2009

Signaturen

I. Vereinsgeschäfte

1. Protokolle der Versammlungen, Jahresberichte (1a), Vorstandsprotokolle (1b)
2. Jahresrechnungen
3. Statuten, Revisionen
4. Vorstösse Kirchgemeinde Chur, Wahlen & Abstimmungen
5. Korrespondenz
6. Teilnahme an verwandten Organisationen (libref.)
7. Mitgliederlisten, – werbung

II. Veranstaltungen

1. Referate, Anlässe
2. Austausch mit AFT, Theolib., IARF, ‚Gruppe Glaubwürdige Katholiken’ ,
3. Festspiel Comander
4. Varia

III. Druckschriften

1. Jahresgaben des Vereins
2. Monographien, Buchrezensionen
3. Periodika; Reformiertes Volksblatt (CH), Bündner Protestant, Kirchenbote
4. Kirchenblatt für die reformierte Schweiz (1894 bis ca. 1907)
5. Jahresbericht CH Verein für freies Christentum, Chronik Sektion Chur
6. Religion in der Presse (Leserbriefe etc.
7. Kirchgemeinde Chur (Infos)
…..

Ausschnitte aus den Protokollbüchern aus Vorstand und Mitgliederversammlung ab 1962

(Sign. I 1) zum Vereinsleben

1959 Hans Wegmann spricht über Jesus, der Genius von Nazareth’ . belobigt durch A. Schweitzer. Jeden 2. Montagabend im Comandersaal: Wir lesen und besprechen das Matthäus-Evangelium (mit Pfrn Berger und Färber). Prof. V. Maag : ‚Fragen der Bibelauslegung’ (vorgesehen), Pfr. K. Stokar: Die Frage der konfessionell gemischten Ehen.

1960 Pfr. Hans-Jürg Braun referiert zu ‚Religiöser Freisinn und Sekten’., Pfr. Walter Mühlemann zu ‚Nathan Söderblom, Wegbereiter der Einheit der Kirchen’.
1962 sind vier Vorträge angesagt: Dr. Binder, betreffs Urwaldspital des Referenten, Religionsgeschichtlicher Kurs über fremde Religionen, Vatikanisches Konzil, Albert Schweitzer-Abend mit dem Zwinglibund, Dr. Fritz Tanner: Generationenproblem. – Die Möglichkeit einer Veranstaltung zusammen mit der religiös-sozialen Gruppe will geprüft sein.

Dr. M. Linder referiert über ‚Biblische Wunderheilungen, Betrachtungen eines Arztes’.

1963 IX 28; Der Vorstand inszeniert und inseriert einen Vortragszyklus im Kirchgemeindehaus Brandis: An 12 Abenden referieren Germanisten und Pfarrherren über ‚Dichter und ihre Religion’; behandelt werden Paul Gerhardt, Andreas Gryphius, G.E. Lessing, J.W.v. Goethe, Jeremias Gotthelf, C. F. Meyer, Gottfried Keller, Theodor Storm, Wilhelm Raabe, Hermann Hesse, Rainer M. Rilke & J.. Heinrich Pestalozzi – Die einzelnen Vorträge wurden in der Tagespresse rezensiert.
Synchron wurden in einer Serie von Vorträgen ‚fremde Religionen’ portraitiert. Prof. V. Maag fragte nach dem Sinn religionsgeschichtlicher Erörterungen. Ein weiterer Vortrag galt den Religionen der so genannten primitiven Welt, welche der Missionsarbeit des Christentums sich entgegenstemmten. Mysterienreligionen und Hinduismus folgten. Pfr. Hs. Berger referierte an zwei Abenden zum Islam. Buddhismus und Judentum beendeten den Zyklus.

Der Verein ‚provoziert’ 1965 Kampfwahlen im Kirchgemeindevorstand, stellt die ‚Zauberformel’ in Frage, will Auswahl als Wahl.

1965 war durch Kirchenvorstandswahlen geprägt. Die einzelnen Gruppierungen, Vereinigung freier Protestanten, positiver Kirchgenossen, Unabhängige evangelische Kirchgenossen, und Religiössoziale Vereinigung prüften eine Kandidatur auf einer Einheitsliste, darauf freie Protestanten figurieren, welche dem Vereine bis zum Ableben ihre Treue bewiesen, so bspw. Nico Gantenbein und August Suter. – Die Liberalen sind in Minderheit versetzt, sie stellen deshalb einen Kampfkandidaten an einer ausserordentlichen Mitgliederversammlung auf; Auswahl statt Kampfwahl.

1966 Pfr. P. Kirchebner referiert zu einem neuen Buche von Bischof Robinson: „Gott ist tot.“ – Erörtert wird, ob Gruppenbildung noch zeitgemäss ist?. Die liberale Gruppe soll sich, so der Vorstand, als notwendiges Glied für eine freie Gestaltung in kirchlichen Angelegenheiten engagieren. Sie ist keine Partei. Der Verein war im Werben neuer Mitglieder erfolgreich.
.
1967 Prof. P. Dalbert referiert über Freies Christentum und religiöse Freiheit, Gedanken, die auf einer Reise durch Ungarn und Rumänien entstanden, die im ‚Kalten Krieg’ Drangsalen auch religiöser Art ausgesetzt waren. Der Abend schliesst mit einer Kollekte zugunsten ‚Hilfsfond des Weltbundes. – Pfr. Peter Niederstein referiert zu ‚Begegnung mit Paul Tillich’.

Der umstrittene Vereinsname neuerlich zur Diskussion. ‚Freie Protestanten’ assoziiert Sektierertum. (Wenn schon, sind Liberale Ketzer statt Sektierer.)

1968 gilt einem Bibelkurs , Beginn mit ‚Christus in Korinth’ – und bei uns?’ Fachleute, Ärzte, Juristen, auch Konfessionsfremde sind beizuziehn. – Die Gruppe widmet sich dem Film, zeigt Filme, die eingeführt werden, und über die nachher diskutiert wird. Was echt und wahr im Film ist, verdient Respekt auch, wenn es nicht einer christlichen ‚Leitkultur’ anhängt. Pfr. W. Bremi sagt einen Vortrag mit dem Titel ‚Mut zum Neuen’ zu. Ein Nachwort gilt Albert Schweitzer im Zeitgeiste des Jugendstils als Wille zum Leben.

Die 60 er Jahre sind von Reibungen bei Pfarrwahlen geprägt. Der Verein tut dar, liberale Pfarrer seien durch Aufgaben in der Kirchgemeinde mehr gefordert denn die Pfarrer der übrigen Gruppen, weshalb ein zusätzlicher sechster, gar ev. siebenter Pfarrer ein liberaler zu sein habe.

1969 Eine Kommission für kirchliche Angelegenheiten’ reklamiert Zentralisation in der Kirchenpolitik. Die Gruppe freier Protestanten wehrt sich: ihre Aufgabe sei auch, Aussenseitern der Kirche einen Weg zu religiösen Fragen zu öffnen. Vier Abende zu kirchengeschichtlichen und existentiellen Aussagen sollen dazu anhalten, sich persönlich mit Religion zu beschäftigen. – Die Jahresgabe stammt von Prof. Hermann Baur, Basel, und sie gilt Albert Schweitzer als Erzieher.
Die Revision der Kirchenverfassung wird diskutiert. – Die notwendigen Hilfskräfte für die Sonntagsschule fehlen, obwohl die Zahl der teilnehmenden Kinder rückläufig ist. Kirchenratspräsident A. Suter erörtert die Abgabe von Einzelkelchen beim Abendmahle.

1970 Vorbereitung der Tagung des ‚Exekutivkomités des Weltbundes für religiöse Freiheit’ in Chur (IARF). – Das Arbeitsteam ’Jesus im Verständnisse unserer Zeit’ kann 40 Anmeldungen verzeichnen. Prof. J. Sievi beginnt einen ökumenischen Kurs.

Statutenrevision ist im Gange, der Name des Vereins lautete nun: Vereinigung freier Protestanten’. Eigenständige Vortragsprogramme kollidieren mit Vorstellungen der ‚Abendfeierkommission’. Pfr. Berger initialisiert einen Zyklus zu ‚aufbauenden Ketzergestalten.

Pfr. P. Kircheber wünscht Stellungnahmen des Vereins zuhanden der freigesinnten Mitglieder im Kirchenvorstande. Er referiert zu ‚Die Minoritätenfrage als Weltproblem’.

1971 Der Verein freier Protestantismus Graubünden lädt zur Jahresversammlung nach Davos ein (Prof. B. Staehelin: ‚Gibt es eine angeborene religiöse Ethik im Menschen?’ – Der Verein pocht auf ein liberalen Pfarrer (für Pfr. J. Kessler).

1975 Der Verein organisiert die Delegiertenversammlung des Schweizerischen Vereins für freies Christentum in Chur. Programm: Predigt in St. Martin, Abgeordnetenversammlung in der Regulakirche, Vortrag Pfr. P. Niederstein: ‚Tragik und Verlust der Mitte’. Gedrucktes Programm – Jahresgabe ist Dr. Baur: ‚Krisenzeit und Jesusforschung’.

1977 Pfr. P. Kirchebner sitzt neu im Zentralvorstand Schweizerischer Verein ein.
Bildung von Quartiervereinen wird erörtert.

1979. Der Vortragszyklus heisst: Menschenbild, Menschenverständnis (Pfarrherren Kessler & Walser).. 2. Vortrag: PD Dr. J. Gartmann, Arosa: Das Menschenbild aus dem Erlebnisse des Arztes. Nomination von Fritz Peer für Pfarrwahl.
Die Kantonsbibliothek Chur verfügt über die gesammelten Jahresgaben des Vereins. (Es fehlen die Jahre 1969, 70 & 72.)
Pfr. Dr. P. Walser referiert zur Geschichte des ‚Antistitiums’.
1980 Vorstand beschliesst Bibelabende für den Winter.
Die Jahresrechnungen zeugen von strikter Ökonomie. Das Vermögen beträgt Fr. 2000.—bis in die 80 er Jahre, der Jahresbetrag Fr. 4.—bzw. 5.—. In der Folge polstern Legate die Finanzen.

Die Präsidentin, Frau M. Becker, setzt sich mit Anmassungen im Glauben auseinander. Die Welt ist zwar im Urteile Gottes eine ‚gute Sache’ geworden, doch vielleicht nicht fertig…
Die Vereinigung fragt sich selber, ob nach Innen zwischen positiv, liberal, religiös-sozial etc. noch aktuell zu unterscheiden ist (Kirchlein in der Kirche, gemäss Pfr. F. Peer)? Von der ‚Kommission für kirchliche Angelegenheiten’ der Kirchgemeinde wird die liberale Gruppe attackiert, doch so kommen Argumente zum Austragen. Der Verein verteidigt sein Engagement für ein weltoffnes Christentum und theologische Forschung

Der Mitgliederbestand (und die Zahlungsmoral der Mitglieder) bleibt hoch: Von einmal 377 Nachnahmen für den Vereinsbeitrag werden 371 eingelöst. Allerdings schwindet die Mitgliederzahl seit den 80 er Jahren chronisch.

1981 Der Vorstand erkürt (rund zehn) Kandidaten für die Pfarrwahl. Gewünscht ist ein guter Prediger. Erste Anfragen enden erfolglos.

Der Verein präsentiert eine lange Liste von Kandidaten zur Nachfolge von Pfr. Dr. Hans Berger. Die Auswahl an liberalen Pfarrkandidaten ist seither laufend dünner geworden. Keine amtierende Pfarrperson ist zur Zeit Mitglied der Gruppe, anders der Kirchgemeindepräsident.

1984 Der konservative Pfr. F. Aebi empfiehlt dem Verein sich aufzulösen. Vorschläge (bspw. zu Pfarrwahlen) würden dann aus den Quartierkommissionen kommen. Der Vorstand opponiert. Der Verein bietet Rückhalt und Geborgenheit (Fritz Peer). Predigten von Churer Pfarrern sollen unter dem Titel ‚Leben mit Ängsten’ zusammengefasst und als Jahresgabe verschickt werden. Die vier Gruppierungen der Kirchgemeinde stellen sich in der Presse vor.

1985 Der Verein favorisiert die Pfarrwahl von Hans Domenig, Davos.

1986 Jahresgabe besteht in je drei Predigten der Pfarrer Berger, Senn, Peer. Der Vorstand opponiert dem Ablegen von Bekenntnissen in Gottesdiensten, verlangt, dass Veranstaltungen von kirchlichen Gruppen nicht auf die Gottesdienstzeit festgesetzt werden und in den Kirchgemeindehäusern stattfinden sollen. Pfr. Dr. H. Berger referiert zu: ‚Anfang des Liberalismus in Graubünden’.

1987 Ein ‚Anbetungsgottesdienst’ in der Regulakirche wirft Fragen auf. Die Vereinigung portiert Reto Held als Präsidenten des Kirchenvorstandes.. Frau Pfr. U. Tanner referiert über Die Wahrheit biblischer Geschichten: Was ist wahr, in den unterschiedlichen Schöpfungsgeschichten?

1990 Die Vereinigung antwortet auf den Umbruch von 1989 in Osteuropa: Drei Vorträge behandeln Perestroika und Kirche, Siebenbürgen (Land, Leute und ihre Kirchen) und die Kirche in der DDR als Geburtshelferin der Demokratie. Die Vereinigung lanciert ein Beitrittsschreiben, das sich an ‚Sehr geehrte Nichtchristen’ richtet. Eingangszitat C.F. Meyer: ‚Was Gott ist, wird in Ewigkeit kein Mensch ergründen, doch will er treu sich allezeit mit uns verbünden.’

1991: Vorträge: Pfr. F. Peer: Wir haben populärer zu werden, Angebote zu entwickeln, welche die jüngere Generation anspricht. (Asylwesen, Sennhof. Neuer Anlauf für Mitgliederwerbung startet. – Drei Vorträge: Religion, Glaube & Hoffnung werden gehalten.

Neueste Zeit
summarisch

Einen Höhepunkt mit sehr gutem Publikumserfolg bildete die Aufführung eines durch Pfr. Fritz Peer, Vorstandsmitglied der Gruppe, verfassten multimedialen Theaters in der Martinskirche zum 50 jährigen Bestehen der Comanderkirche, 1958-2008, mit „Schauspielern“ der Gruppe. Inhalt des präsentierten Festspiels war das Leben und Wirken des Churer Reformators Johannes Comander in schwierigen von mehrfachen Pestzügen durchwirkten Zeiten.

Aus der aktuellen Zeit sind vor allem die dialogisch geführten Vortragsabende zusammen mit dem katholischen Partnerverein, den ‚Bündnerinnen und Bündner für eine glaubwürdige Kirche’ zu erwähnen. Stand der interreligiöse Dialog zuerst im Zentrum, präsentiert durch Vertreter der Glaubensrichtungen, folgt der Dialog zwischen den Disziplinen, zwischen Naturwissenschaft und Religion im Darwin-Jahre. Die Theologie hat inzwischen die Erkenntnisse der ‚exakten Wissenschaften’ sich zu integrieren gelernt. Vermenschlichungen von Gottesbildern wie Gott als Vater, Hirte, ja Richter, treten in zurück., sie sind für unsre Zeit nicht mehr erhellend genug.

Hans-Rudolf Stadelmann referiert November 2009 im ‚Comander’ vor vollem Saale u.a. zum ‚Doppelgebot der Liebe’ unter evolutionistischem Gedankenansatze. Es enthalte doch eine konkrete ethische Aufforderung, Gott in seinen Konkretionen, in seiner Schöpfung, zu leben, die Schöpfung zu bewahren und das Leben in all seinen Erscheinungsweisen, den Willen zum Leben darin, zu schützen.
Jesus, hob der Referent hervor, stellte die herrschenden Machtstrukturen auf den Kopf, indem er den Menschen bzw. die Person als verantwortungsbewusst und autonom denkend (ernst-)nimmt. Für den Naturwissenschaftler und Theologen Stadelmann ist schon seitdem keineswegs mehr möglich, Gott sich als ‚Weltenherrscher’ vorzustellen, der nach Belieben Naturgesetzte ausser Kraft setzen kann, zumal heute die Naturwissenschaft selber zwischen Zufall und Notwendigkeit Freiheit am ‚Schattenrande von Geschichte’ aufspürt.

Ein zeitloser, rein transzendenter Gott ist mit der Vorstellung von Kreativität, Evolution in der Natur, die sich erneuert, Neues gebiert, nicht mehr zusammen zu denken, was um so mehr für den Gott der Bibel gilt, der sich in ihr als Schöpfergott erinnert. IhreWelt ist geschaffen, sie entsprang keinem Gehirn eines mythologischen Gottes.

Volle Säkularität ist in der Natur eines Gottes, welcher in einem Stalle ‚auf die Welt kommt’ – angelegt.

Eine „kulturprotestantische Trouvaille“ im Archiv

Vertonte Gedichte von Pfr. Hans Fontana, erhalten durch das Ehepaar Christa & Gerhard Hermann, La Tour, Scharans, ehemals Fürstenau ‚Zollhaus’; als Gabe an den Verfasser
Besonderer Charme wird dem Archiv darin zuteil, dass es einen Gedichtband mit u.a. ‚Zehn Marienliedern’ des Mitgliedes der AFT, Pfarrer Hans Fontana selig, enthält, dazu eine Schallplatte mit ihren Vertonungen durch den Komponisten Friedrich Ruhrmann, gesungen von der Sopranistin Uta Jesse-Böhmke und am Flügel begleitet von Dieter Schellon. Die Zusammenarbeit entstand zu einer Zeit, als Hans Fontana in Fürstenau als Pfarrer wirkte.
Maria führt ‚der Sehnsucht Zauberfloss’, vielleicht in der Tradition des mittelalterlichen Minneliedes, welches die ‚hohe’ Frau verehrte.

Aus dem X. Lied zitiert;

‚Maria,
immer ist sie Weg und Fährte
immer nur als Angebind
und im Gleichnis letzter Werte
wird die Mutter uns zum Kind.’

Der Titel ‚Mariengesänge’ erklärt sich für einen liberalen reformierten Theologen in diesem Falle über die Biographie. Pfarrer Fontana wurde in Rona (1911) geboren, wuchs katholisch erzogen auf, durchlief die Jugend in einem Churer Kinderheim mit (s)einem sittlich-religiös rigiden Regime. Über Kantonsschule und Universitäten wurde er zum theologisch-liberalen Pfarrer.

Quellen

– Archiv der Gruppe freier Protestanen, Chur
– Archiv des Dachverbandes libref., Staatsarchiv Bern, Bern
– Presse (Umschlagsbild: Einladung zum Reformtag 1906 im ‚Freien Rätier’)

Anhang

Präsidenten
1906 ff. Dr. Valär, Redaktor
ca. 1930 Dr. Valär, Stadtarchivar
ca. 1950 Dr. Fritz Pieth

ca. 1960-1966 Dr. Max Linder
ca. 1966-1974 Frau Hedwig Becker
1974-1983 Reto Held
1983-1991 Frau R. Brini
ca.1994-2004 Pfr. Peter Kirchebner
2005 ff. Pfr. Dr.Hans Senn

Aktueller Vorstand
Vorsitz:
Dr. Hans Senn

Mitglieder
Linetta Schneller und Silvia Stucki, Richard Arioli, Walter Bolliger,
Jean-Claude A. Cantieni, Pfr. Fritz Peer,

Revisoren: Johannes Juon, Conradin Hail

Partnerschaften:

– AFT, Arbeitsgemeinschaft für Freie Theologie und
– Bündnerinnen und Bündner für eine glaubwürdige Kirche’ von der Katholischen Landeskirche

‚Liberal denken und glauben’

(aus Flyer der Vereinigung freier Protestanten)

Das beschäftigt uns: Die Aufgabe der Religion in einer multikulturellen und kirchenfernen Gesellschaft

Dafür setzen wir uns ein: Kirche sind wir, und ihre Krise motiviert uns deshalb, uns in ihr zu engagieren.

So verstehen wir uns: Wir wollen einen kritischen Glauben in Freiheit und Selbstverantwortung leben und üben Toleranz gegenüber Andersdenkenden.

Wer sich für die Vereinigung interessiert, ist gerne gehalten, sich für weiterführende Auskunft bzw. einen Beitritt an den

Präsidenten: Dr. theol. Hans Senn,
Nordstrasse 4
7000 Chur

zu wenden.

Chur, 2009/JCC

Vor einem Jahr erschienen:
Bericht aus Pakistan … was nicht in allen Medien steht

Vor zwei Jahren erschienen:
Bea-Fachseminar-Fussball-saemann

Vor drei Jahren erschienen:
Fast ein Minarett …

Vor vier Jahren erschienen:
sigs eso – Sikhs eso

© libref – aufgeschalten von: Stephan MartiFinanzblog

Ehemalige Kirche – heute Einkaufszentrum


Pfarrhäuser sind heute im Kanton Bern in der Diskussion. Einige werden vermutlich umfunktionniert, aber noch haben wir nicht zu viele Kirchen, die einen neuen Verwendungszweck gefunden haben.

Dieser Beitrag erschien am 27 Juli 2007 auf dem Blog des Kirchgemeindeverbandes des Kantons Bern … dieses Blog gibt es nicht mehr … aber eine Datensicherung, von der ich einige wenige Beiträge hier aufschalten werde.

Bei libref. finden sie den Beitrag über den Cave du Temple in Frankreich. Den Vin Mythique konnte unser Präsident auch einmal geniessen. Bin gespannt, was er zum mythischen Schaumwein sagen wird.
Kirche als Wohnhaus

Der Turm bei dieser Kirche konnte nicht erhalten werden, aber im «obersten Stock» sind Wohnungen eingebaut …

Kirche mit Einkaufszentrum

… und darunter finden wir ein kleines Einkaufszentrum. Hoffen wir, dass man hier nicht der Zeit voraus ist …

Vor einem Jahr erschienen:
Pakistan und Taliban? oder neu: Pakistan oder Taliban

Vor zwei Jahren erschienen:
Wahr, Wahr-Heit, Ge-Wahr-Sam – fast «Sam and the War»

Vor drei Jahren erschienen:
Menschenrecht auf religiösen Frieden?

Vor vier Jahren erschienen:
Zentrum Religion, Wirtschaft und Politik

© libref – Text und Foto: Stephan MartiFinanzblog

Pakistan, ein Land ohne Hoffnung? SolarImpulse, ein Flugzeug mit Hoffnung?


«Frauenhäuser, die anstatt Schutz bieten, die Frauen zu Prostituierten machen.»

Unser Vereinsmitglied Yahya berichtet direkt aus Pakistan – nicht das erste mal. Aber wie das eben im heutigen Medienzeitalter so ist, es interessieren sich viel zu wenige dafür, was auf der Welt wirklich «Sache ist». So «nebenbei» ist eben Solar Impulse gestartet – es wird in der Schweiz wieder Fluggeschichte geschrieben … DRS 1 ist dabei, das Fernsehen bringt es dann vielleicht als «Konserve». Prioritäten setzten. Impulse setzen. SolarImpuls existiert aber nicht erst seit Morgen, wenn die Medien darüber berichten. Aber nun lassen wir Dr. Bajwa zu Wort – danke dass du von fernab, dem Land das mit der Bevölkerung Platz 6 einnimmt – aus einem Kriegsgebiet.

Ich bin nun seit einigen Tagen wieder in Islamabad/Pakistan und arbeite als Volontär für LivingEducation, meinen Sozialprojekten für Frauen und Mädchen.

Täglich kommen neue Schülerinnen zu uns in die Schule, die bei uns weiter die Schule besuchen wollen, da ihnen Geld fehlt.

Aber auch in unserem Menschenrechtsbüro für Frauen in Islamabad herrscht Hochbetrieb. So kam erst kürzlich eine junge Frau, die bei uns im Wohnheim Unterschlupf und vor allem Schutz beantragte. Ihre Mutter wurde durch den Vater verbrannt! Der Vater hat dann eine neue Frau geheiratet und diese schlägt sie dauernd, so dass sie nun Angst hat, ebenfalls verbrannt zu werden.

Eine andere Frau mit Kind, will sich scheidenlassen, weil es nicht mehr geht. Ihr Mann ist drogenabhängig und schlägt sie und das Kind.

Noch eine andere Frau ist psychisch am Ende und will sich scheiden lassen. Durch Gespräche gelang es, ihr klarzumachen, dass ihr Mann sich nicht scheiden will und dass er auch keine Geliebte hat. Fantasien, die sie nicht mehr vergessen kann und die sie quälen. Sie ist nun soweit, dass sie von einer Scheidung absieht – für die Familie war dies wiederum eine Ehrensache. Die jungen Kinder im heiratsfähigen Alter würden keine PartnerIn finden, wenn die Leute sagen, dass die Mutter davongelaufen sei und sich geschieden hätte. Morgen gehen wir ins Gericht und ziehen den Scheidungsantrag zurück. Der Mann ist bereit, zu warten, bis es seiner Frau wieder besser geht. Es wird Zeit brauchen, bis sie sich erholt hat und dann, so hoffen wir, wieder den Anschluss zur eigenen Familie findet. So lange wird sie bei uns in Dast-e-Shafqat, unserem Frauenhaus bleiben.

Interessant ist auch, dass diese Frauen in verschiedenen öffentlichen Frauenhäusern untergebracht waren. Sie erzählen, dass dort die Angehörigen Geld bezahlen und dann die Frauen einfach mitnehmen. In unserem Gespräch mit den Angehörigen wurden wir auch gefragt, wie viel wir verlangen würden. Für die eine Familie war Geld kein Problem – der Mann fragte, wie viel wir verlangen würden. Von Schutz also keine Rede.

Es kommt noch schlimmer. Verschiedene Frauen, die bei uns um Aufnahme begehrten, erzählten, dass in den öffentlichen Frauenhäusern die Frauen fürs Sexgeschäft verkauft werden. Eine junge Frau erzählte, dass sie noch am gleichen Tag, als sie in ein Frauenhaus kam, für den ersten Kunden am Abend antraben musste.

Hier werden die Frauen für eine Nacht «verkauft» oder sogar für «lebenslänglich», d.h. sie werden in eine Zwangsehe geschickt. Sie können sich nicht wehren. An wen soll sich eine Frau wenden?

Solchen Frauen versuchen wir Schutz, Geborgenheit und auch eine neue Zukunft zu bieten. Oft gelingt es uns, eine Familie wieder zusammenzubringen. Manchmal aber gibt es keinen Weg an der Scheidung vorbei. Keine einfache Sache in einer Gesellschaft, in der dies oft Prostitution bedeutet.

Daneben haben wir es mit den ganz normalen Problemen zu kämpfen:
Strom wird dauernd abgestellt, kein Wasser, da Wasserknappheit herrscht. Wie soll man da arbeiten oder lernen können? Kerzenlichtromantik würde man in der Schweiz meinen, doch hier ist es eine Tatsache, mit der man sich arrangieren muss. Auch die Anschläge, die Bomben, die überall in die Luft fliegen und Tod und Verzweiflung säen – für viele Pakistani ist dies schon zur Gewohnheit geworden.

Das Lächeln der Schulmädchen bei uns im Internat ist wenigstens ein kleiner Trost! Der berühmte Tropfen, der die Gesellschaft wandeln soll. Nur, wenn man damit anfängt, darf man hoffen, dass sich das Denken der Menschen in Pakistan ändern wird.

dr yahya hassan bajwa
Präsident LivingEducation
Islamabad / Pakistan

Vor einem Jahr erschienen:
Bericht aus Pakistan … was nicht in allen Medien steht

Vor zwei Jahren erschienen:
Pestalozzi und Couchepin

Vor drei Jahren erschienen:
Rhein oder halt doch Aare

Vor vier Jahren erschienen:
Bilder vom Friedensmarsch

© libref – Text und Foto: Stephan MartiFinanzblog

Nationalforschungsprojekt – NFP 58


Es werden im historischen Rückblick keine Namen oder Organisationen genannt, aber die Geschichte kommt uns bekannt vor …

«Religion als öffentliche Angelegenheit

Warum interessiert sich der Staat für Religion?

Dr. Werner Haug, Mitglied der Leitungsgruppe des NFP 58

… 1. die konsequente Durchsetzung der Glaubens- und Gewissensfreiheit im positiven wie im negativen Sinne;

2. die Sicherstellung der Menschen- und Grundrechte vor religiös begründeten Ein- und Übergriffen, unabhängig davon ob diese sich nun auf kanonisches Recht, auf Sektenregeln oder die Scharia berufen;

3. die Sicherstellung von Transparenz und der Konformität mit demokratischen Spielregeln, wenn es um die innere Verfassung von Kirchen und Religionsgemeinschaften geht, die staatliche Anerkennung einfordern …

… lesen sie mehr beim NFP 58 …«

mehr auf dem Internet-Auftritt des NFP 58

… für «eilige Leser» nur diese Zusammenfassung …

» … Die religiöse Landschaft der Schweiz ist in einem tiefgehenden Veränderungsprozess begriffen, der sich auf allen gesellschaftlichen Ebenen niederschlägt: Durch die Forderung von Migrantengruppen nach Partizipation am öffentlichen Leben wird die Gesellschaft herausgefordert, über ihre eigene religiös-kulturelle Identität und die nationalen Fundamente nachzudenken. Die neu entstandenen Religionsgemeinschaften verfügen noch nicht über die nötigen Institutionen (Gemeindestrukturen, Religionsgelehrte, Baulichkeiten, Erziehungseinrichtungen), um ihr religiöses Leben dauerhaft zu gestalten, ihren Angehörigen den nötigen Rückhalt zu gewähren, sich verlässlich in der Schweiz zu integrieren und der Gefahr der Instrumentalisierung durch radikale Strömungen gewachsen zu sein. Die christlichen Kirchen sind zum Dialog mit einer weithin religionsentfremdeten Gesellschaft gefordert, zugleich aber auch zum Dialog mit anderen Religionsgemeinschaften, die ihr Selbstverständnis moderner christlicher Identität nicht teilen. Die einzelnen Menschen sind gezwungen, sich selbstverantwortlich mit der Religionsthematik zu beschäftigen. Angesichts der religiösen Pluralisierung steht der Staat vor der Aufgabe, sein Verhältnis zu den in der Schweiz wirkenden Religionsgemeinschaften zu überprüfen. Er muss sich fragen, ob und wie er mit seinem Religionsrecht auf die neu entstandene multireligiöse und multikulturelle Lage reagieren soll. Muss der Staat angesichts der aktuellen und zu erwartenden Herausforderungen stärker als bisher in Fragen der Religion aktiv werden? …»

Vor einem Jahr erschienen:
Kurs für muslimische Kaderleute statt für Jugendliche

Vor zwei Jahren erschienen:
Flugzeugentführer und Entführte – keine Spur von Hass

Vor drei Jahren erschienen:
Human Right Conference

Vor vier Jahren erschienen:
Menschenrechtsrat beschlossen

© libref – Text: Stephan MartiFinanzblog

"Woher kommt der Hass auf den Westen? – Gret Haller und Jean Ziegler im Gespräch mit Norbert Bischofberger"


… auf SF 1 am Sonntag, 31. Januar 2010 um 11.00 Uhr

«In der «Sternstunde Philosophie» diskutiert Jean Ziegler seine Thesen mit der Juristin und Menschenrechtlerin Gret Haller, welche vor kulturellem Fundamentalismus warnt und für das Überwinden von Freund-Feind-Bildern plädiert … lesen sie weiter bei SF 1 … «

Mehr über Gret Haller und Jean Ziegler bei libref.

Gret Haller

Dr. Gret Haller bei der Verleihung des prix libref.

Vor einem Jahr erschienen:
Laudatio anlässlich Verleihung des prix libref. an Gret Haller

Vor zwei Jahren erschienen:
Anti-WEF Demo und Ferienstimmung

Vor drei Jahren erschienen:
Informationen über die Sikhs

Vor vier Jahren erschienen:
WEF – Gedanken über die und der Kirche

Text und Foto: Stephan MartiFinanzblog