Protestantisch, liberal – wie die "nachhaltige Stellwerkstörung"


Das Wort «liberal» ist heute so verkommen, dass man sich fast schämen muss, sich als Liberaler zu bezeichnen, dafür nennen sich alle Protestanten, die keine sind, geschweige denn wirklich einmal protestieren.

Ich will heute protestieren. Nein, eher bitten, beten – braucht diese Wörter im richtigen Sinne. Die meisten regen sich heute auf, wenn ein Wort einen Schreibfehler enthält, eine Kommaregel falsch angewendet wurde, auch wenn diese vielleicht schon wieder veraltet ist oder wenn etwas Gross statt klein im Text erwähnt ist. Nie vergessen werde ich während meiner Lehrzeit das Fräulein R. in der Sektion Kartoffelbau, ihr Name erinnerte an «abgeschottet». Diese Dame hat sogar Ansichtskarten rot unterstrichen, wo unkorrekt aus dem Ausland gegrüsst wurde. Den Mut hinzuschreiben, wer das war, hatte sie nicht. Vielleicht wäre sie in der Abteilung Obstbau, Sektion Steinobst besser aufgehoben gewesen – Bereich «Zwetschgen». Hier werden gemäss heutiger Zeitungsmeldung zumindest die Mitarbeiter der Alkoholverwaltung protestieren. Das sind die «nachhaltigen» Nebensächlichkeiten, über die wir heute streiten. Aber immer und immer wieder.

Wichtiges, wird einfach so hingenommen, wie nachhaltige, systemrelevante Stellwerkstörungen. Dabei gibt es bei der SBB andere relevante Störungen. Der Hauptsitz wird sales-and-lease-gebacked. Bilanzschönung heisst das und kommt uns Bürger teurer zu stehen. «Auf diese Weise vermeidet sie eine langfristige Bindung von Kapital, wie sie am Dienstag mitteilte.» «Mein Gott Walter», da müssten Finanzfachleute feststellen, dass dieser «Laden» in einer Liquiditätskrise steckt. Wir werden in vierzehn Tagen wieder schöne Diskussionen haben. Nach der Affäre Telefonzentrale Bollwerk, scheint man im Bundesbern nichts gelernt zu haben. Das nachhaltige Wort «Nachhaltigkeit» war letztes Jahr 300 Jahre alt geworden. Es stammt aus der Holznot der Forstwirtschaft und heute wird es mit Axt und Motorsäge traktiert und nachhallig für alles Un- und mögliche verwendet.

«Reformation» ist 198 Jahre älter. Nächstes Jahr feiern wir 500 Jahre Reformation. Das SEK meint damit das «Evangelium im Mittelpunkt». «sEk», das «E» steht ja auch für evangelisch. Und dabei müsste es eigentlich, oh SchRecK, sRk, heissen. Der grösste Teil der Geldgeber ist heute «reformiert» und nicht mehr «evangelisch». Aber einen Namensstreit wollen wir nicht – SRK – das müssen wir wohl nicht erklären. In der Sek lernten wir schon jede denkbare sek., dass die SEK die Schwedische Nationalwährung ist. Bliebe noch sPk für «Schweizerischer Protestantischer Kirchenbund» – aber hier kommen wir in Klintsch, Klinsch oder Clinch mit der Schweizerischen Politischen Konferenz – leider vor gut zwanzig Jahren an der Thunstrasse zu Bern aus finanziellen Nöten begraben worden.

Wer oder was ist nun reformiert oder protestantisch? Schön sagt es die Kirchgemeinde Küssnacht. Wir am Rigi «küssen», pflegt mein Kollege zu sagen. Und diese Innerschweizer sind noch evangelikal. Nicht wie Küsnacht, das uns schon mit Peter Bichsel begegnet ist. Das Wort «evangelisch» existiert nicht mehr. Das Prankenkreuz wäre mal ein historischer Ausflug wert. vielleicht nicht gerade mit der Força Aera oder zu Bismarck, dem einzigen Protestanten, der den päpstlichen Christusorden trug.

Kirchengeschichtlich haben nur die Romands heute noch das Wort «protestante». Wir gesamte Deutschweizer sind landeskirchlich reformiert. Und dabei gibt es immer noch Kirchen, die evangelisch schreiben. Wer als landeskirchliche Bezeichnung Protestant in den Mund nimmt liegt seit Jahrzehnten falsch. Protestanten gibt es vor allem im Ausland – Holland vor allem, einige in Deutschland und ganz speziell im angelsäsischen Raum und praktisch alle Freikirchen und zum Teil Sekten. Die Kantonskirche Bern-Jura-Solothurn ist reformiert, dito Aargau, Basel. Zürich ist reformiert – sogar auf gleichem Portal wie die Katholiken. Dann gibt es nur noch eine grössere, die noch evangelisch ist – die Bündner. Dort sind die meisten auch keine Reformierten mehr. «Jede zweite Pfarrperson habe keinen Schweizer Pass mehr

Es wäre vielleicht einmal an der Zeit, dass sich Schweizer Theologie Professoren ins Wikipedia einleben würden. Das ist von unserer Kirche her ein richtiges Paradies, für Nonsens. Achtung, Wikipedia ist ein Superinstrument, aber dieses wird von Freikirchen und Sekten bestens kontrolliert und vor allem schön fein umschrieben. Hier die extrem wenigen Worte über reformiert im Wiki, was die Schweiz anbelangt:

Daneben existieren die Bezeichnungen „lutherisch“ bzw. „A.B. (Augsburgischen Bekenntnisses)“, die die Kirchen in der Tradition der Wittenberger Reformation bezeichnen, und „reformiert“ bzw. „H.B. (Helvetischen Bekenntnisses)“, die die Kirchen in der Tradition der Schweizer Reformatoren Ulrich Zwingli und Johannes Calvin bezeichnen.

Im Briefwechsel schreibt mein Kollege: «Ob es nötig ist, den Begriff „Protestanten“ aktiv zu bekämpfen, scheint mir sehr fraglich! Er ist in der Schweiz so geläufig wie Evangelisch-reformiert oder einfach reformiert – „das Volk“ macht da keinen Unterschied. Auch die Feldprediger in der Armee wurden unterschieden in Fpr prot und Fpr kath.» Bekämpfen wollen wir nichts. Missionieren schon gar nicht, das war früher mal. Aber Zwingli starb schon 1531 dort, wo wir die 2. Kappeler Milchsuppe zelebrierten. Den grössten Anlass, den wir in den vergangenen Jahrzehnten durchführten. Und Calvin starb 33 Jahre später. Eigentlich Zeit genug, zu wissen, dass wir reformiert und nicht protestantisch sind. Jeder Militärpflichtige Reformierte hatte auf seinem «Grabstein» die Abkürzung «prot» eingraviert. Ein Übersetzungsfehler aus dem Französischen soll das gewesen sein!

Und nun noch einiges zu liberal. Smartvote schreibt in ihrer Grafik neuerdings je dreimal liberal und konservativ, sowie links und rechts hin – damit es jedem klar ist. Es gibt Linksliberale, Rechtsliberale und solche in der Mitte.

«Ich bin kein Missionar. Als Liberaler kann ich das Ergebnis einer parteiinternen Meinungsbildung nicht vorwegnehmen. Ich kann nur sagen: Wenn man von einem liberalen Kompass ausgeht, dann darf man sich nicht von links und nicht von rechts vereinnahmen lassen.»

Das schreibt ein Professor für Staats- und Verwaltungsrecht im Artikel «Die FDP leidet unter der Absenz der Intellektuellen». Vielleicht müsste man diesen Kompass wieder einmal eichen. Das sagt einer, der nebst Kassier auch mehrere Jahre «Parteiideologe» im Vorstand einer lokalen FDP war, die heute einen Bundesrat stellt.

Zeit, dass wir kirchlich Liberalen das englische Wort übernehmen – progressiv. Die Sektion Zürich macht es vor – prolibref – progressiv, liberal, reformiert. Zum Spass meinte jemand, sie sei «konservativliberal» – es gibt doch immerhin schon 74 Treffer. «Konservativliberal» ist aber überwiegend.

Frei nach dem Motto: «Biegen wir das nächste Mal linksrechts oder rechtslinks ab?»

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