Der Hahn – sein stolzer Gang, die scharfen Sporen, der schwellende Zorn, heiliger Vogel, Herold des Tages, Des Lichts & des Verrats
Das ‚Logo’ des Schweizerischen Vereins für freies Christentum’ und teils seiner Sektionen ist der Hahn. Er schaut von den Kirchtürmen der – wenn auch nicht exklusiv – Reformierten herunter: Ein Zeichen der Rück-Wende zu den Quellen des Glaubens, zu den Quellen des Paradieses, von welchem aus die Erde zu bewässern ist oder doch eines Arkadiens, einer Geburt eines Lichtgottes, wenn der Hahn bei der Geburt des Lichtgottes Apollon wie auch bei der Geburt Jesu den Erlöser zuerst den Tieren meldete. Der Hahn verkündet nicht nur den neuen Tag, welcher die Welt dem Lichte aussetzt, sie aus der Verborgenheit an die Freiheit führt, (a-letheia), sondern er blickt ihr mutig in die Augen und verkündet ihre ewigen Wahrheiten. Sie erscheinen im Hahnschreie. Die Welt kommt in ihm an. Er ist der Seher, Mantis, Rasende, der ausser sich gerät., An- & Abwesendes in ein Anwesen versammelt (Martin Heidegger). Er erinnert im Sinne der Oden des Horaz den biformis vates, zweigestaltigen Seher (II XX). Er nimmt die Welt wahr, nimmt sie in Gewahrsam, Wahrheit. Sein Wahren ist ‚entbergendes Bergen’, Offenbarung, Vorsehung, in der Zeit, frühzeitig gedacht, als Wahrheit, die Wahrnis des Seins ist. Gehörthaben des Hahns ist Hören auf das lichtende Anwesen, ist Wissen als Erinnern des Seins, als das denkende Gewahren der Wahrnis des Seins (M.H.), zu welchem auch die denkend gesagten Wörter und das , was allem Denken erst zugesprochen ist, Gott, zählt. Es ist das, was Denken in Anspruch durch die Religion nimmt, Denken im Denken am Rätsel des Seins zwischen der Frühe des Gedachten in der Nähe des zu Denkenden, einem Dazwischen, verräterischen, verleugnenden Inter-Esse nach dem Mathäusevangelium, welches zum Entscheide in die Nachfolge Jesu, Freiheit, beruft: Religion als Freiheit, Freiheit als Religion.
Die frühesten archäologisch überlieferten Hähne finden sich neben Granatäpfeln auf Grabstelen in Lakonien im 6. Jahrhundert vor Christus in Chrysapha bei Sparta. Sie überliefern einen Kult nach dem Tode, in den Granatäpfeln ebenso wie im Hahn des Anbruchs eines neuen Tages, einer neuen Welt, der Auferstehung, Geschichte der Vor-Sehung, als Kult, Reflexion in der Zeit. Anstelle des Hahns haben im antiken Mythos auch schon idealisierte Abbilder des Toten über seinem Grabe wie seit Beginn des 6. Jahrhunderts in Athen, Samos oder auch in Megara Hyblaea zu treten. ‚Irdischer Leib, sink nieder zur Asche, ewige Seele, steig flammend empor.’ Der antike Grieche spricht von ‚eidola’, davon Idylle. Beim Besuche der Stelen wurden die Grabstätten bekränzt und darauf Gefässe mit duftendem Öl gestellt, um die Toten in einen Wohlgeruch zu hüllen. wo heute Blumen den Kontakt zwischen der Erde, aus welcher Menschen genommen sind, und den Hinterbliebnen im Aufsuchen der Gräber er- und bewahren.
Die Toten fristen in der Antike ein blasses Schattendasein und irren im Dunkeln herum, aus welchem der Hahnschrei sie an Licht führen soll. Wenige entrinnen der dunklen Hemisphäre mit Hilfe der Götter: Ganymed wird von Zeus zum Olymp entrückt. Die Göttin der Morgenröte, die rosenfingrige Eos, geleitet Tithonos ans Ufer des Ozeans, auch Herkakles erfährt rumreichen Aufstieg an der Seite einer olympischen Göttin, und viele träumten seither von einem wohltätigen Heldenleben, welches zum Himmel entrückt wird. Die Demeter deutet die Tiefe der Erde an, in welche ihre Tochter Persephone entführt wird, die in bildender Kunst mit dem Fruchtbarkeitssymbol der Granatäpfeln in der Hand dargestellt wird (Rossetti).
Der Initiationsritus, Durchgang zum Jenseits, bleibt als Geheimnis gehütet, und doch deuten Bilder, wie diejenigen des Hahns, die öffentlichen Momente der Zeremonie, auch etwa einer Prozession von der Hinfälligkeit des alten und des vagen Traums eines zukünftigen Zeitalters an, auf dessen Schwelle der Hahn ‚in dürftiger Zeit, da die alten Götter noch nicht tot, und der neue Eine noch nicht unter uns weilt’ kräht. Was kräht der Hahn? Dass Gott gerecht ist, indem wir ‚keinen Hauch von Leben hätten, wenn im tiefsten Innern diese Gewissheit nicht existierte’? Niemand zerstört, den Stoff seines Heimwehs, urteilt Cioran, d.h. unsere Träume überleben unser Erwachen dank des Hahns. Wir denken zwar nicht mehr an eine geographische Wirklichkeit von Idyllen zurück, und doch wohnt eine höchste Gabe in uns als Dimension unseres Ichs, es handelt sich darum, sie – worin die ewige Gegenwart als Sieg über das Werden zu finden. Wir scheinen heute in einer ewigen Gegenwart zu leben. Alles ist präsent, doch dahin kräht, krächzt roh der Hahn: Die Geschichte ist nicht der Sitz des Lebens, sie ist dessen Abwesenheit, der Hahn weckt, mahnt zur Skepsis, zum Aufbruche, in der germanischen Mythologie am jüngsten Tage, wenn er die Recken zum letzten Kampfe weckt, und dann auch der Hahn des unterirdischen Reichs der den Riesen zugezählten Hel die Totenwelt zu wecken hat. Jener Haut ist hälftig normal, hälftig blau-schwarz, sie ist halbtot und halblebendig, und ihr sind gar die jeweiligen alten Götter verfallen – bis der Hahn die Geburt des neuen Einen in dessen Weile über dem jeweiligen Tagesanbruche ankündete.
Text: Jean-Claude A. Cantieni, Chur

Auch Hähne sind vor der Vogelgrippe, auch Hühnerpest genannt, nicht sicher – und ordnungsgemäss sind diese Vier im Wohnzimmer. Nur der Hahn auf dem Kirchturm darf draussen bleiben.
Foto und Zusammenstellung: Stephan Marti-Landolt – finanzblog